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Wenn das Gras nicht echt ist

Wie Astroturfing die öffentliche Meinung manipuliert

Es gibt viele Begriffe, deren Herkunft und Bedeutung uns sofort klar sind, auch wenn wir sie zum ersten Mal hören oder lesen. Bei Astroturfing ist das definitiv nicht der Fall. Hat es etwas mit Astronauten zu tun? Vielleicht mit Astrologie? Astrologen, die im Internet surfen? Ganz und gar nicht. Und doch ist die wahre Bedeutung so wichtig, dass man sie unbedingt kennen sollte.

Es dauerte nicht lange, bis die ersten kritischen Stimmen vor täuschend echten Fakes warnten, die sich mit Generativer KI plötzlich ganz einfach erstellen lassen. Nun ist ein Papst in weißer Rapperjacke gesellschaftlich gerade noch tragbar. Zumindest ist das Gefahrenpotenzial solcher Fakes nicht allzu hoch.

Anders sieht es aus, wenn hinter einem aufwendigen Fake eine Kampagne steckt, die ganz bewusst Meinungen in der Gesellschaft beeinflussen will, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. So lässt sich der Begriff Astroturfing vereinfacht erklären.

Doch woher kommt der Begriff?

Historische Herleitung: Grassroots-Bewegung vs. Astroturfing

Um Astroturfing vollständig zu verstehen, muss zunächst ein anderer Begriff erklärt werden. Es handelt sich hier nämlich um ein Wortspiel mit historischem Hintergrund.

Wenn eine Initiative von der Basis der Bevölkerung ausgeht, um politische oder gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, spricht man von einer Graswurzelbewegung (engl. grassroots movement). Die genaue Herkunft des Begriffs ist nicht vollständig geklärt. Er tauchte jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts im Umfeld des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Theodore Roosevelt auf. Seine Progressive Party hatte sich vor den Präsidentschaftswahlen 1912 als linker Flügel von der Republikanischen Partei abgespalten. Ihr Ziel war es, die herrschende „korrupte Wirtschaft und Politik aufzulösen“ und die Politik wieder von der Basis der Gesellschaft ausgehen zu lassen.

Unter AstroTurf hingegen findet sich ein Markeneintrag im US-Handelsregister für einen Kunstrasen aus dem Jahr 1965. Als Alternative zu natürlichen Rasenflächen sollte der künstliche Rasen vor allem die Pflegekosten reduzieren und zudem in den meist geschlossenen Sportarenen der USA optimal „gedeihen“.

Astroturfing verbindet nun diese beiden Begriffe und wird für künstlich erzeugte Graswurzelbewegungen verwendet.

Aktuelle Relevanz von Astroturfing

Die Digitalisierung der Kommunikation durch Social Media ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits lassen sich über die zahlreichen Kanäle wichtige Informationen sehr gut verbreiten. Andererseits ist damit auch die Versuchung gestiegen, die öffentliche Meinung mit künstlichen Kampagnen, dem Astroturfing, zu manipulieren.

Mit relativ einfachen Mitteln lassen sich heute massenhaft Fake-Profile auf verschiedenen Social-Media-Plattformen einrichten und so gestalten, dass sie auf den ersten Blick unauffällig wirken. Bei dubiosen Anbietern können solche Profile zudem vergleichsweise günstig gemietet werden.

Mit der zunehmenden Verbreitung von Generativer KI können die Fake-Profile mit geringem Aufwand für Astroturfing genutzt werden. KI-Tools generieren passende Beiträge, die sich formal leicht unterscheiden, inhaltlich aber das gleiche Ziel verfolgen: Sie vertreten eine bestimmte Meinung oder Haltung, um eine entsprechende gesellschaftliche Bewegung zu suggerieren, die es in dieser Form in der Realität nicht gibt.


  • Unterschied zu Propaganda

Auch bei Propaganda handelt es sich um den Versuch einer gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Im Unterschied zum Astroturfing gehen diese Kampagnen jedoch von staatsnahen Medien oder direkt von Politikern aus. Beispiele finden sich häufig in totalitären Staaten, in denen die Pressefreiheit unterdrückt wird.


Beispiele für Astroturfing

Ein Klassiker unter den künstlichen Graswurzelbewegungen ist sicherlich das Global Energy Balance Network (GEBN). Die Non-Profit-Organisation positionierte sich als „Stimme der Wissenschaft“ und machte Schlagzeilen mit der überraschenden Erkenntnis, dass Übergewicht und Fettleibigkeit nicht durch zuckerhaltige Getränke und Fast Food entstehen, sondern durch mangelnde Bewegung. Recherchen der New York Times ergaben jedoch, dass GEBN von von einem großen Limo-Hersteller mit 1,5 Millionen US-Dollar unterstützt wurde. Das anschließende Dementi wurde durch veröffentlichte interne E-Mails entkräftet. Sie zeigten, dass der Brausegigant nicht nur am Mission Statement von GEBN mitgearbeitet hatte, sondern auch maßgeblich an der Besetzung des Führungspersonals beteiligt war. Die Organisation stellte daraufhin ihre Arbeit ein.

Schon etwas früher, im Jahr 1995, machten die „Waste Watchers“ den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für die wachsenden Müllberge verantwortlich, weil sich die Umweltschutzorganisation gegen den Bau neuer Müllverbrennungsanlagen ausgesprochen hatte. Später stellte sich heraus, dass mehrere Gründungsmitglieder direkte Verbindungen zu einem Verpackungshersteller hatten. Nach einem entsprechenden Bericht im Spiegel verschwanden die Waste Watchers wieder von der Bildfläche.

Mit der Kampagne „E-Fuels for Future“, die parallel zu einer Aktionswoche der Klimaschutzaktivisten von „Fridays-for-Future“ geplant war, sollten synthetische Kraftstoffe als Lösung für den Klimaschutz dargestellt werden. Der gemeinnützige Verein LobbyControl deckte die Kampagne auf und recherchierte einen Interessenverband für Mineralölunternehmen als Initiator.

Im Jahr 2010 wurde ein groß angelegtes Astroturfing im Zusammenhang mit dem viel kritisierten Bauprojekt „Stuttgart21“ aufgedeckt. Hier gab es nicht nur eine Website oder Organisation, die sich vermeintlich von unten gegen den Protest positionierte, sondern eine Vielzahl. Die verschiedenen Aktivitäten können hier nachgelesen werden: „Stuttgart 21: Mit PR-Agenturen gegen Demonstranten“.

Eines der ersten Beispiele für digitales Astroturfing schließt den Kreis zum Ursprung des Begriffs auf geradezu kitschige Weise. Im Jahr 2002 wurde ein Wissenschaftler in verschiedenen Foren massiv angegriffen, weil er behauptete, in Mexiko gentechnisch veränderten Mais entdeckt zu haben. Es stellte sich heraus, dass die Angriffe im Wesentlichen von zwei Personen ausgingen. Diese konnten auf verschiedenen Wegen zum umstrittenen Biotechnologiekonzern Monsanto zurückverfolgt werden, der für den Genmais verantwortlich sein soll. Ironischerweise gehört inzwischen auch die Kunstrasenmarke AstroTurf zu Monsanto.

Fazit: Es bleibt immer etwas hängen

Keine Frage, das Risiko eines massiven Reputationsverlustes ist sehr hoch, wenn Astroturfing aufgedeckt wird. Klar ist aber auch, dass etwas von der manipulierten Meinung in der Gesellschaft hängen bleibt, weil nicht alle Menschen der Aufklärungsarbeit der Medien vertrauen. Wenn man bedenkt, wie einfach digitales Astroturfing heute ist, scheinen die nächsten Kampagnen nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

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