Dr. Daniela Claessens ist Augenärztin und arbeitet bei ERGO als Gutachterin. 2016 hat sie zusammen mit ihrem Mann Ronald Krüger, der zuvor CIO in der Automobilbranche war, eine Firma gegründet, die augenmedizinische Apps entwickelt.
Daniela, du arbeitest bereits seit mehreren Jahren im Bereich der Augenheilkunde – Ronald du hast einen Background als CIO in der Automobilbranche: Wie kamt ihr darauf gemeinsam augenmedizinischen Apps zu entwickeln?
Daniela: Die Idee kam uns auf dem Weg zu einer Fachkonferenz, die ich besucht habe. Auf der Fahrt habe ich Ronald davon erzählt, dass es Augenerkrankungen gibt, die ein verzerrtes Sehen hervorrufen. Altersbedingt (altersbedingte Makuladegeneration=AMD) sind davon circa sechs Millionen und durch Diabetes bedingt (Makulaödem) circa eine Millionen Menschen betroffen. Menschen mit dieser Krankheit können Gesichtszüge nicht mehr erkennen oder nur noch schlecht lesen. Wie stark ihr Sehen verzerrt ist wurde bis dahin jedoch nicht gemessen.
Ronald: Das hat mich dann nicht mehr losgelassen: So viele Menschen sind betroffen und trotzdem gibt es kaum Möglichkeiten die Ausprägung der Krankheit zu messen. Deshalb habe ich angefangen mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Zunächst habe ich ein Computerprogramm entwickelt. Als Grundlage habe ich einen Gitternetztest aus dem 19. Jahrhundert genutzt. Bei diesem sogenannten Amsler Test müssen die Patient:innen ein Gitter mit einem Auge anschauen und beurteilen, ob die Linien gerade sind. Im ersten von mir entwickeltem Programm habe ich überlegt wie der/die Benutzer:in die verzerrten Linien aufzeichnen kann. Das ist aber zu kompliziert, da er/sie sich dann merken müsste wie die Linie wahrgenommen wurde um diesen Eindruck dann einzuzeichnen.
Der inverse Weg ist für den/die Benutzer:in viel einfacher: Er/sie sieht in einer Linie einen Berg und muss nun nur noch diesen Berg einebnen. Dieses Begradigen der Linien führt im Bild dazu, dass die Linie in der anderen Richtung verzerrt ist, also quasi das Negativbild des Seheindrucks. Ist erst einmal eine digitale Zeichnung vorhanden, kann die Ausprägung der Krankheit gemessen werden. Das hilft dabei, den Verlauf zu beobachten und bei möglicher Verschlechterung schnell einzugreifen.
Wie ging es dann weiter?
Ronald: Wir haben das Programm im Netz frei zugänglich angeboten. Es wurde viel von Unikliniken und ihren Patient:innen genutzt. Das Feedback dazu war sehr gut. Deshalb haben wir weitergemacht und eine App entwickelt, so dass auch Menschen ohne Computer den Test machen können.
Daniela: In der App haben wir aus dem quantitativen Verfahren ein semiquantitatives gemacht. So werden den Patient:innen in der App vier Gitternetze angezeigt von denen eins mehr verzerrt ist als die anderen. Dieses müssen die Nutzer dann per Klick auswählen. Dieser Vorgang wiederholt sich mindestens zehnmal, bis ein Ergebnis ermittelt ist. Der Test dauert pro Auge circa eine Minute. Die Ausprägung der Krankheit wird dann in entsprechende Kategorien eingeordnet, so dass auch hier eine Verlaufskontrolle und sogar ein Screening möglich wird.
Was ist das Feedback zur App?
Daniela: Um die Anwenderfreundlichkeit zu testen, haben wir im Rahmen einer Studie einen validierten Fragebogen eingesetzt. Bei diesem haben wir von den Anwender:innen das Gesamtfeedback „ausgezeichnet“ erhalten. Außerdem haben wir nach der Häufigkeit der Nutzung gefragt. Dabei kam heraus, dass die Anwender:innen der App den Test im Schnitt alle sechs Tage gemacht haben. Personen, die weiterhin die Papierversion nutzen, machen den Test im Schnitt nur alle 19 Tage. Der Test wurde also dreimal häufiger benutzt als die Papierversion. Das regelmäßige Wiederholen der Tests ist jedoch wichtig, da die Erkrankung bei früher Erkennung besser behandelt werden kann. Deshalb hat unsere App das zusätzliche Feature, welches die Testergebnisse direkt an den behandelnden Augenarzt schicken kann.
Wo findet man eure App?
Ronald: Viele finden über die Hinweise ihrer Kliniken oder Ärzte zu uns. Ansonsten haben wir auch eine Website mit all unseren bisher entwickelten Apps und vielen weiteren Infos zu den Augenkrankheiten: www.app4eyes.de. Die App findet man bei Google Play und iOS App Store.
Was ist euer Ziel mit der App?
Daniela: Wir wünschen uns, dass wir mit unseren Anwendungen Menschen dabei helfen können, die Erkrankungen schneller zu erkennen. Eine schnelle Behandlung ist wichtig, da es sich um eine chronische Erkrankung handelt, die nicht besser wird und bei nicht optimaler Behandlung sogar zur Erblindung führen kann. Wenn mehr Menschen mit unserer App den Verlauf ihrer Krankheit selber monitoren, können Verschlechterungen durch frühes Erkennen besser von einem Arzt behandelt werden.
Ronald: Außerdem arbeiten wir ständig daran unsere Produkte zu verbessern und zu erweitern. Denn unserer Meinung nach können Apps eine wichtige Unterstützung in der Medizin für Ärzte sein. Das wird auch von der neuen DiGA (digitale Gesundheitsanwendungen) Verordnung unterstützt, die dafür sorgt, dass Apps auf Rezept verschrieben werden können.
Ihr habt noch eine weitere Apps entwickelt. Was können die?
Daniela: Wir haben Apps entwickelt, die Informationen zum grauen und grünen Star geben. Bei der Operation des grauen Stars wird die trübe Linse durch eine Kunstlinse ersetzt. Die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Linsen kann verwirrend sein. Aus diesem Grund hat app4eyes die App „Linsen – Navi“ entwickelt, bei dem man unter anderem die Dioptrienwerte aus dem Brillenpass und das gewünschte Operationsergebnis (zum Beispiel völlig Brillenfreiheit oder nur noch Lesebrille) eingibt. Die App erläutert ausführlich, welche Intraokularlinse auf Basis dieser Angaben in Frage kommt und verdeutlicht den Seheindruck nach der Operation anhand von Fotos. Die App liefert herstellerunabhängige Informationen, sodass der/die Patient:in gut vorbereitet in das Gespräch mit dem Operateur gehen kann.
Menschen, die wegen grünem Star behandelt werden, können die App „Glaukom Tagebuch“ nutzen. Diese App speichert die Augeninnendruck Werte und rechnet sie automatisch auf die individuelle Hornhaut-Dicke um. So erhält man einen tabellarischen und grafischen Überblick über die Augeninnendruck Werte. Man kann sich zudem in unserer App „Eynstein“ eine Erinnerung für die Augentropfengabe einstellen und sich über aktuelle Studien und Tipps rund um das Sehen informieren.
Das hört sich großartig an.
Danke! Wir freuen uns, wenn wir mit unseren Apps einen Beitrag dazu leisten können, die Augengesundheit unserer Nutzer:innen zu unterstützen.
Das Interview führte Alina Gedde.
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