Digital Health

Mehr Zeit für menschliche Zuwendung

Das „Digital Urban Center for Aging & Health“ soll künftig an innovativen Lösungen für den Gesundheits- und Pflegebereich forschen. Initiator Prof. Thomas Schildhauer spricht im Interview über das digitale Gesundheitssystem und die Bedeutung von Pflegerobotern.

Prof. Thomas Schildhauer

Prof. Thomas Schildhauer ist Informatiker, Marketingexperte, Internetforscher und Forschungsdirektor des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG), Gründer und Kuratoriumsvorsitzender des Institute of Electronic Business (IEB), sowie Geschäftsführender Professor und Direktor am Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW) der Universität der Künste Berlin. Er ist außerdem Vorstand der Stiftung Internet und Gesellschaft und Principal Investigator des Einsteincenters Digitale Zukunft und des Weizenbaum Instituts – Das Deutsche Internet Institut. 

Herr Prof. Schildhauer, bitte erklären Sie uns, was die Idee hinter dem „Digital Urban Center for Aging & Health“ ist.

Die Grundidee für dieses neue Forschungszentrum ist die Bündelung der Expertise und der Kapazitäten einer Vielzahl von Instituten, die rund um das Thema Digitalisierung forschen. Mit dabei sind das Institute for Electronic Business, das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, das Einstein Center Digital Future und das Weizenbaum Institut. In all diesen Instituten sind neun Forschungsdisziplinen vertreten – von Design über Recht und Informatik bis hin zu Medizin. Wir wollen dahingehen, wo die Menschen leben und arbeiten. Und wir wollen dabei erforschen: Wie können digitale Möglichkeiten das Leben der Menschen beeinflussen?

Womit beschäftigen Sie sich konkret?

Wir überlegen zum Beispiel: Wie müssten Wohnquartiere der Zukunft gestaltet werden, damit Menschen so lange wie möglich in ihrem angestammten Wohnumfeld bleiben können, auch wenn sie älter werden. Hier könnten Technologien konkret helfen. Beispielsweise könnten technische Systeme in Wohnquartiere eingebaut werden, wie etwa Sensoren im Boden oder Steuerungssysteme für die Haustechnik. Das könnte Menschen dabei helfen, länger aktiv in ihrem Haus und ihrer Wohnung zu leben. 

Dennoch wird der Pflegebedarf in den kommenden Jahren deutlich steigen, weil die Gesellschaft altert. Inwiefern können smarte Technologien dort unterstützen?

Die Bereiche Dokumentation und Administration kosten in der Pflege heute sehr viel Zeit. Mit intelligenter Technologie könnte die Planung und Organisation der Abläufe besser strukturiert werden. Wenn im Pflegebereich zum Beispiel ein Unfall passiert, muss das ausführlich dokumentiert werden. Das muss die Pflegekraft heute größtenteils per Hand auf Formularen machen. Hier kann Technologie den Zeitaufwand deutlich verringern. So könnten die Pflegerinnen und Pfleger entlastet werden und hätten mehr Zeit für Zuwendung zu den Menschen.

Was glauben Sie, wie sieht die Pflege der Zukunft konkret aus?

Die Pflegerin und der Pfleger der Zukunft werden im Idealfall in einer Wohnung arbeiten, die mit digitalen Unterstützungssystemen ausgestattet sein wird. Ein Pflegeroboter wird zur Verfügung stehen, der die Pflegekraft entlasten kann. Die Pflegekraft selbst wird sich zu Beginn über eine digitale Plattform alle Informationen zum Patienten einholen können. Pflegekraft, Angehörige, behandelnde Ärzte, weitere Leistungsträger und die Bewohnerinnen und Bewohner sind über eine digitale Plattform vernetzt und alle relevanten Daten sind im Zugriff. Für den Bedarf an Informationen und Wissen zu den neuen Anwendungen und Technologien im Pflegebereich, stehen den Patientinnen und Patienten sowie den Pflegekräften die Lernmodule und Erklärungen zur Verfügung, die gerade benötigt werden. Dies geschieht über situative und adaptive, digitale Lernlösungen, ausgehend vom vorhandenen, jeweiligen Wissensstand der Nutzerinnen und Nutzer.

Das Thema Robotic Health ist ja auch ein wichtiger Bereich im Tech Trend Radar von Munich Re und ERGO. Inwiefern sind Roboter im Gesundheitsbereich eine Hilfe?

Pflegeroboter können bestimmte Routinetätigkeiten übernehmen – etwa die Patienten daran erinnern, ihre Medikamente zu nehmen. Darüber hinaus gibt es Robotersysteme, die der Pflegekraft schwere Lastenarbeiten abnehmen können. Und es gibt erste Versuche mit sogenannten Sozialen Robotern, die eine kommunikative oder sozial-fördernde Aufgabe übernehmen.

Hat die Corona-Pandemie in diesem Bereich viele Dinge beschleunigt oder stärker den Fokus darauf gerichtet?

Ältere Menschen können über digitale Kommunikationsplattformen mit ihrer Familie in Kontakt bleiben. Aber es gibt im Pflegesektor noch viel Bedarf, um die Infrastruktur aufzurüsten. So gibt es beispielsweise in vielen Pflegeheimen nur einen Raum, der technisch für entsprechende Videotelefonate ausgerüstet ist. Es gibt erste Ansätze zusätzlich Räume im Hinblick auf Telemedizin auszustatten. Dort können die Bewohner dann digital mit einem Arzt sprechen. Viele Dinge werden jetzt mit Nachdruck angegangen, aber durch Corona läuft in dieser Hinsicht auch nicht alles von alleine. Allerdings hat sich die Bereitschaft schon verbessert, die Bereiche weiter zu digitalisieren.

Wie wichtig ist Datenschutz im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Gesundheits- und Pflegebereichs?

Das ist ein großes Thema. Wir haben ja in Deutschland einen sehr vorsichtigen Umgang mit Daten. Wichtig ist die digitale Selbstbestimmung. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben selbst zu bestimmen, wann ihre Daten für welchen Zweck wie lange verwendet werden. Dabei müssen wir auch klar und deutlich den Nutzen darstellen, den die Verwendung dieser Daten für jeden Einzelnen und die gesamte Gesellschaft hat. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass mit den Daten vernünftig und gewissenhaft umgegangen wird und sie nicht an der falschen Stelle verwendet werden.

Was braucht es, um innovative Ideen für ein digitaleres Gesundheitssystem voranzutreiben?

Es ist klar, dass das Gesundheitsökosystem sehr komplex ist. Darum müssen wir beim Aufbau eines neuen Forschungscenters auch sorgsam sein. Im Jahr 2021 wird das Center sorgfältig konzipiert. Dafür arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die sich daran beteiligen wollen. Beispielsweise haben wir mit der Diakonie oder der Evangelischen Bank schon Kooperationspartner gefunden. Aber wir sind noch auf der Suche nach weiteren Partnern.

Das Interview führte Benjamin Esche.

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