Die Studie „The Global Smartphone“ von UCL kommt zu einem erschütternden Ergebnis. Wir leben heutzutage in unseren Smartphones und empfinden ähnliche Gefühle, wenn es um unser Zuhause oder unser Handy geht. Unser Kolumnist Markus Sekulla möchte das nicht und hat daher Exit-Möglichkeiten in sein Leben eingebaut.
Wir alle kennen dieses Bild: An einem großen Esstisch sitzen die Menschen, die für uns Familie und Freunde sind… Und alle schauen auf ihr Smartphone. Als ich vor circa zwölf Jahren mal damit angefangen habe, nach dem Essen Twitter zu checken, waren meine Freunde außer sich und haben mich als Online-Junkie bezeichnet. Heute gehören diese Bilder schon fast zur Popkultur. Selbst bekannte Kinofilme wie „Das Perfekte Geheimnis“ behandeln das Thema Smartphone am Esstisch. Doch diese Situation ist nur eine von vielen, in denen die Smartphones zwischenmenschliche Interaktion gekapert haben.
Das Gerät, das ehemals ein Telefon war – heute ist Telefonieren eben auch nur eine App von vielen – ist heute unser zentraler Punkt im Leben geworden. Es ist immer und überall dabei, trägt unsere größte Geheimnisse hinter einem Code verborgen mit sich und dient in vielen Lebenslagen als Retter in der Not.
Doch lasst uns alles mal positiv betrachten: Das Smartphone ist das Schweizer Taschenmesser des 21. Jahrhunderts. Wer braucht schon Navigationsgeräte, einen MP3-Player oder eine Digitalkamera, wenn ein einziges Gerät all diese Funktionen bieten kann? Ein All-in-One-Gerät, das für mich sogar noch eine Nummer zu kurz springt. Wenn ich aus dem Haus gehe, habe ich nebst dem Smartphone meine Geldbörse (wegen Perso, Führerschein und da in Deutschland: Bargeld ) und meinen Schlüssel dabei. Wenn ich zum Impfen gehe, brauch ich auch noch meinen alten gelben Impfpass. All das könnte ein Smartphone auch leisten, tut es aber heute im Mai 2021 nur in begrenztem Maße. Da muss einfach noch mehr passieren. Spätestens dann kann ich mit nichts weiter als dem Smartphone aus dem Haus gehen. Die Technologie ist da, es braucht ein Umdenken im Kopf.
In den letzten Jahren ist das Smartphone unsere Schnittstelle zwischen Realität und digitaler Welt geworden. Eine Art Schlüssel, um mit der ganzen Welt in Kontakt zu treten und auch zu bleiben. Social Media, Wikipedia, Blogs, offizielle Internetauftritte von Unternehmen und Organisationen führen dazu, dass der Informationsfluss und die Informationsbeschaffung noch nie höher war als zu der heutigen Zeit.
Neue und wichtige Räume des Austausches entstehen. So werden wichtige politische Debatten nicht mehr auf der Straße oder vor dem TV abgehandelt, sondern verlagern sich immer mehr in das Internet und soziale Medien. Nicht immer konstruktiv, aber dennoch oftmals bereichernd und ergänzend zum aktuellen Wissensstand.
Freundschaften und Partnerschaften entstehen über Ländergrenzen hinweg. Die Familie und enge Freunde, die vielleicht in anderen Ländern oder zumindest an anderen Orten innerhalb eines Landes wohnen, sind nicht mehr unerreichbar, sondern via Whatsapp, Facetime, Instagram und Co. immer kontaktierbar. Das Gut des sozialen Miteinanders bekommt so eine ganz neue Bedeutung und Tiefe.
Doch neben allen positiven Aspekten gibt es eben auch die Kehrseite der Medaille: Immer häufiger beobachtet man Menschen, die im Restaurant oder am Esstisch mehr Zeit mit dem eigenen Smartphone verbringen als mit dem Gegenüber.
Mit diesem Phänomen hat sich eine aktuelle Studie von UCL beschäftigt. Studienleiter Prof. Daniel Miller fasst es wie folgt zusammen: „Das Smartphone ist nicht mehr nur ein Gerät, das wir bloß nutzen. Es ist mittlerweile ein Ort, an dem wir unser Leben verbringen. Eine Person, mit der wir physisch Zeit verbringen, kann quasi plötzlich verschwinden. Sie kehrt „nach Hause“ ins Smartphone zurück.“
Im ersten Augenblick fand ich diese Aussage ziemlich übertrieben. Aber wenn man ein wenig darüber nachdenkt, ist sie es eigentlich nicht. Vor allem Plattformen wie Instagram, TikTok, YouTube oder Twich bringen ein extremes Suchpotential mit sich. So kann man sich zum Beispiel bei Instagram selbst daran erinnern, dass man nur zehn Minuten am Tag auf der App verbringen möchte. Doch die Realität sieht meist anders aus. Social Media, Video- oder Spiele-Apps sind nicht nur Zeitfresser, sondern lenken uns immer wieder von Arbeit, Aktivitäten mit Freunden oder unseren eigentlichen Hobbies ab. All das wird durch den Dopamin-Ausstoß, wenn wir in der digitalen Welt erfahren, befeuert.
Eine weitere Gefahr ist die Always-On-Mentalität. Wir sind zu jeder Zeit an jedem Ort für jeden erreichbar. Sei es über die Handynummer, per E-Mail oder sozialen Medien. Jemand möchte noch schnell eine Aufgabe erledigt haben? Er klingelt kurz durch und leitet die Anfrage weiter. Kunden möchten noch weitere Details zum aktuellen Stand ihres Projektes haben? Kein Problem, sie schreiben eine E-Mail und fragen nach. Wir kommen gar nicht mehr dazu, das Smartphone zur Seite zu legen. Es ist unser ständiger Begleiter. Ich denke da an einen Urlaub zurück, in dem ich auf Standby war und viele Stunden mit Smartphone arbeitend am Pool saß – #neveragain. Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, wie sie nach der regulären Arbeitszeit abschalten können – was langfristig zu Burnout oder anderen psychischen Erkrankungen führen kann.
Für mich persönlich habe ich eine ganze Reihe von Strategien entwickelt, damit mein Smartphone mein Freund bleibt und nicht mein Feind wird.
All diese Punkte haben mich dazu gebracht, dass ich meinen Smartphone Konsum auf einem guten Level halte. Da ich versuche, ein achtsamer Mensch zu sein, bemühe ich mich, Multitasking weitestgehend zu vermeiden. Spreche ich mit anderen Menschen widme ich ihnen meine komplette Aufmerksamkeit. Vor zwölf Jahren habe ich das nicht gemacht, aber heute bin ich oft der einzige am Tisch, der nicht aufs Handy schaut.
Text: Markus Sekulla
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