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Brain Machine Interfaces: Die Kraft der Gedanken

2017 wurde das Thema Brain Machine Interface (BMI) beim Fraunhofer Institut als Trendsujet für die Rehabilitationsmedizin aufgegriffen. Die Vision: eine schnelle, intuitive und präzise Gedankenkontrolle von Computern und Maschinen, um Menschen mit einem Handicap dabei zu unterstützen, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen. Wir von //next wollten wissen: Was bedeutet das genau? Welche weiteren Anwendungsfelder sind möglich? Wie ist der aktuelle Forschungsstand?

Brain Machine Interfaces ermöglichen die direkte Kommunikation zwischen menschlichem Gehirn und technischen Geräten. Oder anders ausgedrückt: Mittels Schnittstellentechnologie sollen sich Maschinen und Geräte durch Gedanken steuern lassen, ohne hierfür eine Eingabe tätigen zu müssen. Gerade für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ist die Entwicklung dieser Technologie von großer Bedeutung. Aber nicht nur sie, auch Schmerzpatientinnen und -patienten oder beispielsweise Menschen, die an Parkinson leiden, könnten langfristig von solchen Entwicklungen profitieren. Wie genau dieses Miteinander von menschlichem Gehirn und Maschine funktioniert, schauen wir uns im Folgenden erst einmal genauer an.

Wie aus Impulsen Interaktionen entstehen

Unser Gehirn ist ein komplexes Gebilde. Es besteht aus Milliarden von Nervenzellen, den sogenannten Neuronen. Jedes einzelne Neuron wiederum kann seinerseits Verbindungen mit anderen Nervenzellen knüpfen, um Informationen weiterzuleiten. Als Schalt- also Kommunikationsstelle zwischen den einzelnen Neuronen dienen die sogenannten Synapsen. Zu diesen gelangen die elektrischen Impulse bei ausreichender Gehirnaktivität und werden in chemische Botenstoffe umgewandelt, um aus der einen Nervenbahn anschließend in eine andere transportiert zu werden. Daraufhin werden elektrische Signale ausgelöst.

In der lebensnahen Praxis bedeutet dies zum Beispiel: Lege ich meine Hand auf eine heiße Oberfläche, reagieren spezielle Sensoren in der Haut und senden elektrische Impulse an die Nervenzellen in meinem Gehirn. Von dort werden sie weitergeleitet und gelangen über die Synapsen zu anderen Zellen. Das Neuronen-Netzwerk sorgt dafür, dass mein Gehirn die wichtige Information „Achtung! Heiß! Verbrennungsgefahr!“ verarbeiten kann. Ich spüre den Schmerz und ziehe die Hand weg. Das Zusammenspiel von Neuronen und Synapsen ermöglicht bei einem funktionalen Miteinander zwischen Gehirn und Körper somit eine zeitnahe Informationsverarbeitung. Darauf ist unser neuronales Netzwerk programmiert.

Was aber, wenn das neuronale Informationssystem aufgrund einer Verletzung unterbrochen ist? Hier kommen Brain Machine Interfaces (BMI) ins Spiel, die im Zusammenspiel mit AR-/VR-Technologie weitere interessante Möglichkeiten für rehabilitierende Maßnahmen eröffnen können. 

Die Kraft der Gedanken – alles andere als fauler Zauber

Einer, der bereits eine Mensch-Maschine-Existenz „lebt“, ist Nathan Copeland. Seit einem Unfall im jungen Alter von 18 Jahren ist er vollständig gelähmt. 2014 erklärte er sich bereit, an einer Studie für Menschen mit erheblichen Rückenmarksverletzungen teilzunehmen. Im Rahmen dieser Studie sollte herausgearbeitet werden, ob mithilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle (BCI) verlorengegangene körperliche Funktionen zumindest teilweise wiederhergestellt werden könnten. Copeland erhielt vier Implantate, die seine neuronalen Befehle in Bewegungen übersetzten. Zudem wurde eine Armprothese zwischengeschaltet. Mit dieser erstellte der heute 37-Jährige Amerikaner seine BCI-Kunstwerke.  

Der Niederländer Gert-Jaan Oskam lernt derzeit im Rahmen eines experimentellen Verfahrens mithilfe einer drahtlosen „digitalen Brücke“ wieder zu gehen, Treppen zu steigen oder auch zu stehen. Er ist nach einem Unfall von der Hüfte abwärts gelähmt. Mittels elektronischer Gehirnimplantate werden seine Gehirnaktivitäten bzw. bzw. Gedanken über ein zweites Implantat in seiner Wirbelsäule (Brain Spine Interface) zu seinen Beinen und Füßen übertragen. Das Erstaunliche an dem von Schweizer Forschern unter der Leitung von Prof. Jocelyne Bloch von der Universität Lausanne entwickelte Verfahren: Auch wenn die Implantate nur zeitweise genutzt werden, zeigen sie das Potenzial, Muskeln zu trainieren und die Nervenregeneration zu fördern. Gert-Jaan Oskam ist nicht geheilt, er kann täglich nur einige hundert Meter Wegstrecke gehen. Aber er bekommt eine Vision neuer Eigenständigkeit. 

Gefährliche Gehirneingriffe nicht zwingend erforderlich

Seit ein paar Jahren wird an der Möglichkeit geforscht, Brain Computer Interfaces direkt über die Blutbahnen, statt operativ in den Körper zu bringen. 2019 wurde eine solche Stentrode TM erstmals in den Körper eines Menschen eingelassen. Sie verwächst mit dem Gewebe, erfasst die Impulse aus dem Gehirn und überträgt diese dann an ein Gerät, dass unterhalb der Haut in Brusthöhe implantiert ist. Elektrische Signale werden von dort aus an einen Computer oder ein anderes Steuerungsgerät gesendet. Mit der Zeit sind die Impulse und die damit auszuführenden Bewegungen vom System Mensch-Maschine erlernt und werden, ohne dass ein Finger gerührt werden muss, mit bloßem Blick ausgeführt.

Erprobt wird diese Technologie derzeit von dem ALS-Patienten Philip O'Keefe. Für den Mitte 60-jährigen Australier stellt die alltägliche Kommunikation seit seiner Erkrankung eine echte Herausforderung dar. Seit er ein BCI trägt, kann er durch Gedankensteuerung E-Mails und SMS schreiben oder einen Social Media-Post veröffentlichen. 

Anwendungen in Verbindung mit VR- und AR

In Verbindung mit immersiven Technologien wie VR und AR dürften nicht-invasive BCIs langfristig für einen größeren Gesundheitsmarkt interessant werden. Das 2013 gegründete Technologieunternehmen OpenBCI beschäftigte sich zunächst damit, Sensoren herzustellen, die auf einfache Weise die Aktivitäten des Gehirns darstellten. Im nächsten Schritt ging es darum, die Aktivitäten des Gehirns nicht nur aufzuzeichnen, sondern sie auch in einen Kontext zu setzen. Gemeinsam mit dem finnischen VR/XR-Hersteller Varjo entwickelte man 2018 schließlich ein multimodales Headset namens Galea, das heißt, darin verarbeitet sind jede Menge Sensoren für unterschiedliche Zwecke. Herz-, Haut, Muskel-, Augen- oder auch Hirnaktivitäten lassen sich damit aufzeichnen und in Verbindung KI-Technologie zu unterschiedlichen Zwecken nutzen. Einen beeindruckenden Anwendungsfall präsentierte im Sommer 2023 OpenBCI CEO Conor Russomanno bei seinem TED Talk. Das Publikum konnte erleben, wie Neurohacker Christian Bayerlein, der mit spinaler Muskelatrophie lebt und im Alltag Assistenzsysteme nutzt, mithilfe dieser neuronalen Technologie nur mit Gedanken eine Drohne steuerte

Ausblick

Während bislang die Verbesserung und Überwindung körperlicher Beeinträchtigungen im Fokus der Forschung stehen, ist mit Blick auf OpenBCI genauso denkbar, dass auch Sucht- oder psychische Erkrankungen hiermit behandelt werden könnten. Es bleibt aber erst einmal abzuwarten, wie weit sich die bisherigen Ergebnisse und Tests in die allgemeine Praxis überführen lassen. Wahrscheinlich wird das weniger eine Frage von Hard- oder Software sein. Die Grenzen des Machbaren werden erreicht, wo unser Wissen um das menschliche Gehirn endet. Gerade in den vergangenen Jahren wurden zwar signifikante Fortschritte erreicht. Die Erforschung dieses sensiblen Organs bleibt jedoch eine komplexe und weiterhin herausfordernde Aufgabe. Derzeit kann zudem niemand mit Gewissheit sagen, wie langlebig die implantierten Schnittstellen sind. Bei Copeland etwa funktionieren sie noch, aber bereits mit eingeschränkter Leistung. Noch komplexer als unser Gehirn dürften bei diesem Thema zudem die ethischen Fragestellungen sein.  

Weiterlesen

Fraunhofer-Institut: Brain-Computer-Interfaces

https://www.int.fraunhofer.de/de/geschaeftsfelder/corporate-technology-foresight/trend-news/brain-computer-interfaces.html

Bundesministerium für Bildung und Forschung: Internationales Forschungsprojekt zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten von Brain-Computer-Interfaces (BCI)

https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/interfaces-internationales-forschungsprojekt-zu-ethischen-rechtlichen-und-sozialen-aspekten-5505.php

Cybersicherheit von Gehirn-Computer-Schnittstellen

https://link.springer.com/article/10.1365/s43439-022-00046-x

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