Burnout gilt bei der WHO als „berufliche Erscheinung, die von chronischem Stress bei der Arbeit verursacht wird". Laut Studie „Anatomie der Arbeit", über die wir auf //next bereits berichtet haben, hat sich diese Gefahr unter Wissensarbeitern durch die Pandemie-bedingten Anpassungen ihrer Arbeitswelt drastisch erhöht. Eine große Rolle spiele dabei das „Hochstapler-Syndrom". Wir beleuchten es - und nennen Gegenmaßnahmen.
Das Corona-Virus hat die moderne Arbeitswelt abrupter verändert als jede technologische Innovation. Dass wir jedoch - trotz der Beschleunigung digitaler Initiativen - noch immer von der Hinterlassenschaft gewohnter Arbeitsweisen zurückgehalten werden, haben wir unter Berufung auf eine aktuelle Studie von asana bereits berichtet. Demnach belasten die Bürokräfte im zweiten Corona-Jahr vor allem: „Arbeit rund um die Arbeit“, Doppelarbeit sowie produktivitätssenkende „Kontextwechsel“.
Das US-Unternehmen hat für seinen „Bericht zur Anatomie der Arbeit 2021“ weltweit 13.000 Wissensarbeiter – also Fachkräfte, die den Großteil ihrer Arbeit an einem Computer erledigen – dazu befragt, wie sie ihre Zeit bei der Arbeit verbringen. Gut 2.000 der Befragten arbeiten in Deutschland.
Laut dieser Studie stieg im vergangenen Jahr die Anzahl der Mitarbeiter, die ihre mentale Gesundheit als „schlecht" oder „sehr schlecht" beschreiben, von fünf Prozent auf 18 Prozent. 42 Prozent bewerten ihren Stresslevel als „hoch" oder „sehr hoch". Als wichtigste Gründe wurden genannt:
„Leider sind die Burnout-Zahlen laut unseren Daten seit Mai 2020 kontinuierlich gestiegen – eine Tendenz, die starke negative Auswirkungen auf Unternehmen haben dürfte", zitiert die Studie daher auch Sahar Yousef, Neurowissenschaftlerin an der UC Berkeley: „Unsere Forschung legt nahe, dass Produktivität in 2021 sinken wird, wenn Unternehmen nicht aktiv gegensteuern. Die zwei Hauptursachen dafür sind fehlende Abgrenzung zwischen Zeit im Büro und Zeit zuhause sowie längere Arbeitszeiten, verschlimmert durch eine starke Zunahme von Meetings, weswegen wichtige Arbeit oft erst am Abend oder am Wochenende erledigt werden kann."
Interessanterweise berichten zwei Drittel (65 Prozent) der Menschen, die sich ohne ihre Handys unwohl fühlen, zugleich von Burnout-Erfahrungen - verglichen mit 45 Prozent der Menschen, die eine Trennung von ihren Geräten nicht stört.
Laut Studie sind fast zwei Drittel der Befragten vom „Hochstapler-Syndrom" betroffen – also „einem Gefühl des Zweifels an den eigenen Arbeitsleistungen". Das ist sowohl für Mitarbeitende als auch ihre Firma gefährlich: Wenn die Menschen an sich zweifeln, kann das auch Auswirkungen auf die Belastbarkeit des Unternehmens haben. Es trägt nicht nur zu einer Verschlechterung der seelischen Gesundheit bei, sondern kann auch bedeuten, dass Mitarbeiter sich zurückhalten, weniger Verantwortung für Aufgaben übernehmen, oder das Gefühl haben, wenig zum Teamerfolg beizutragen.
Weltweit berichten 47 Prozent davon, dass sie sich im Jahr 2020 „mehr als zuvor" vom Hochstapler-Syndrom betroffen fühlen. Interessant auch: Am meisten ist dieses Phänomen unter Mitarbeitern verbreitet, die ihre Arbeit während der Pandemie aufgenommen haben. Unter Neuzugängen berichten fast 80 Prozent davon, vom „Hochstapler-Syndrom" betroffen zu sein. Zum Vergleich: Unter den Mitarbeitern, die vor 2020 angefangen haben, sind es 57 Prozent. Auch Eltern mit Kindern im Haushalt sind öfter betroffen (67 Prozent, verglichen mit 57 Prozent unter den kinderlosen Mitarbeitern).
„Unternehmen müssen den Fokus auf die Einführung der neuen Mitarbeiter legen, damit diese im kommenden Jahr mit Sinnhaftigkeit, Selbstbewusstsein und Klarheit arbeiten und von Beginn an erfolgreich sind", empfiehlen daher die Asana-Experten.
„Das ortsunabhängige Arbeiten verschlimmert das Hochstapler-Syndrom, da es weniger Möglichkeiten gibt, sich auszutauschen und Erfolge zu feiern", warnt auch die Wissenschaftlerin Yousef. Unternehmen sollten daher sicherstellen, dass Arbeit auch in ortsunabhängigen Situationen täglich anerkannt und gefördert wird, und dass es Strukturen gibt, die das Selbstbewusstsein neuer Angestellten fördern. „Ich empfehle etwas Ähnliches zu dem, was wir das 'tägliche Festlegen von MITs' nennen: Teammitglieder erzählen asynchron, was ihre ein bis drei wichtigsten Aufgaben ('Most Important Tasks') für den Tag sind, und reflektieren am Ende des Tages über ihre Fortschritte. Das sorgt für ein Team-Ritual in Bezug auf die tägliche Priorisierung, sodass Mitarbeiter auf dem gleichen Stand bleiben und sich vernetzt und 'gesehen' fühlen."
Ihr Appell: „Menschen müssen jeden Tag Fortschritte erleben, damit sie nicht wie in einem Vakuum arbeiten."
Text: Ingo Schenk
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