Neue digitale Tools und Prozesse haben die Art und Weise, wie wir arbeiten, enorm verändert. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen für den Arbeitsschutz. Zwei wesentliche Fragestellungen, die sich daraus ergeben: Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den technischen und organisatorischen Arbeitsschutz aus, und welche Anforderungen ergeben sich in einer digitalen Arbeitswelt zum Schutz von Mitarbeitenden? Soviel ist gewiss: Alte Vorstellungen, Verordnungen oder auch Gesetze gehören angepasst.
Ob Homeoffice, Remote Work, Teammeetings online oder Onlinekonferenzen: Vielerorts findet das Arbeiten bzw. die Zusammenarbeit immer häufiger in virtuellen Räumen bzw. auf digitalen Plattformen statt. Aber nicht nur im Dienstleistungssektor, auch im Fertigungssektor greift die Digitalisierung um sich – etwa in Form maschineller Automatisierung oder durch AR- und VR-Anwendungen. Umso wichtiger, dass Unternehmen all diese Veränderungen immer auch mit ihren Auswirkungen auf die Mitarbeitenden und deren Arbeit begreifen.
In Deutschland kümmert sich die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) darum, diesen Wandel im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales zu analysieren und Beiträge für die präventive Gestaltung zu entwickeln. So machte die Anstalt in einem Studienpapier aus dem 2019 sieben Phänomene für den Arbeitsschutz in einer digitalisierten Arbeitswelt aus. Sie alle deuten darauf hin, dass es eines Problem- und Handlungsbewusstseins bedarf, damit Arbeitsschutz und Digitalisierung sich nicht ausschließen. Für Unternehmen bedeutet es, dass sie entsprechende Konzepte bereitstellen müssen. Ohnehin ist die Dokumentation von Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit für Betriebe im Arbeitsschutzgesetz gesetzlich geregelt. Die Herausforderung gerade für KMU dürfte dabei besonders groß sein. Denn vorausschauend und langfristig zu planen, ist bei diesem Thema schwierig. Viele Betriebe sind noch nicht richtig in der digitalen Arbeitswelt angekommen, da stehen sie schon vor der nächsten Herausforderung: dem Arbeitsschutz unter diesen neuen Voraussetzungen. Unnötig zu sagen, dass mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ die nächste weitreichende Auswirkung wartet – auch beim technischen Arbeitsschutz.
Digitale Tools und Techniken ersetzen ehemals von Menschen durchgeführte Arbeiten, der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen findet vermehrt online statt. Gibt es aufgrund dessen dann keinen oder nur noch eingeschränkten menschlichen Kontakt und steht die Interaktion zwischen Mensch und Maschine im Vordergrund, führt dies zur Vereinzelung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dass nicht jede oder jeder diesem Umstand etwas entgegensetzten kann, hat uns die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt. So empfindet laut einer vom TÜV-Verband in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage aus 2022 jede/r Achte das Arbeiten von zu Hause als eine psychische Belastung, 30 Prozent fühlen sich allein. Auch das durch digitale Kommunikationstools bedingte Gefühl der dauerhaften Verfügbarkeit belastet die psychische Gesundheit vieler Menschen. Am Abend nochmal schnell die Mails checken oder dem Kollegen antworten – umso öfter Arbeitnehmer so agieren, desto selbstverständlicher wird auch die Erwartung daran.
Eine kürzlich vom BITKOM e.V. veröffentlichte Studie weist auf, dass „[…] sieben von zehn Erwerbstätigen, die einen Sommerurlaub planen (70 Prozent), per SMS oder Messenger erreichbar sind. Zwei von drei (64 Prozent) sind zu Telefonaten bereit. Ein gutes Viertel liest und beantwortet E-Mails (27 Prozent) und würde an Videokonferenzen, etwa via Zoom, Skype oder FaceTime, teilnehmen (27 Prozent). Ein Sechstel (16 Prozent) ist über Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder Slack ansprechbar.“ Als Hauptgrund für diese Bereitschaft wird die Erwartungshaltung des beruflichen Umfeldes benannt. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder findet klare Worte dafür: „Arbeitgeber sind in der Verantwortung, funktionierende Vertretungslösungen zu etablieren, damit sich die Beschäftigten in den Ferien erholen können.“
Zu den sozial-psychologischen Komponenten hinzu kommen physische: Aus der zuvor genannten Erhebung vom TÜV-Verband ging auch hervor, dass mehr als jede/r Dritte im Homeoffice an Gewicht zugelegt hat. Lediglich jede/r Zweite verfügte über einen ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz. Der DKV Report 2021 belegt: Unsere Sitzzeiten durch Bildschirmarbeit werden seit der Pandemie immer länger. Sinkt unser Bewegungsniveau, steigt in aller Regel das Stresslevel. Langes und undynamisches Sitzen führt zu Muskulatur- und Rückenproblemen. Unsere Augen können unter dem dauerkonzentrierten Blick auf Bildschirme Schaden nehmen. Sehnen entzünden sich durch monotone Bewegungsabläufe. Kommt dann noch eine insgesamt hohe Arbeitsbelastung hinzu, während die körperliche Aktivität immer weiter abnimmt, lassen sich vom Körper ausgeströmte Stresshormone nur noch bedingt abbauen.
Am Ende der seelischen und körperlichen Dauerbelastungen durch eine digitaler werdende Arbeitswelt stehen immer häufiger typische Volkskrankheiten wie Burnout, Herzinfarkt, Schlaganfall sowie degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates. Zudem gibt es bei manchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das beängstigende Gefühl, dass der eigene Job in naher Zukunft durch eine Maschine erledigt werden könnte. Dabei sollten digitale Tools und Techniken uns Menschen doch ent- und nicht belasten, oder?
Gefahren, Mängel oder Maßnahmen zum Schutz der Arbeit: Alles das kann heute mithilfe geeigneter Software oder per App dokumentiert werden. Aus den digital verwalteten Daten und Angaben lassen sich anschließend Gefährdungsbeurteilungen und Berichte – auch mithilfe von KI – automatisiert generieren. Das ist praktisch und zudem die einzig praktikable Möglichkeit, in einer maximal flexibilisierten Arbeitswelt, in der Menschen nicht mehr zwingend an ein- und demselben Ort arbeiten, das Potenzial einzelner Maßnahmen festzuhalten, auszuwerten und bei Bedarf entsprechend zu skalieren. Zeit- und ortsouveräne Zugriffsmöglichkeiten müssen dabei gewährleistet sein. Derartige Unterweisungssoftware bedeutet aber auch, dass ein Betrieb über entsprechendes Fachpersonal für den Umgang mit diesen Tools verfügt und auf der Ebene der Verantwortlichen die entsprechende Unterstützung gegeben ist.
Wearables und KI im Einsatz für den Arbeitsschutz
Privat werden am Körper getragene Minicomputer und Sensorsysteme bereits vielfach genutzt. Aber auch im Bereich Arbeitsschutz wird ihr Potenzial entdeckt. Seit einigen Jahren erforscht das Institut für Arbeitsschutz (IFA), wie Wearables hierfür zum Einsatz kommen können. So erfasst und analysiert das vom Institut entwickelte Messsystem CUELA Belastungen des Muskel-Skelett-Systems unter realen Bedingungen. Das Monitoringsystem wird direkt über der Arbeitskleidung angelegt. Die sich anschließende Auswertung der gemessenen Daten erfolgt automatisiert und nach arbeitswissenschaftlichen und biomechanischen Bewertungskriterien. Damit lassen sich Maßnahmen zur Vermeidung einer berufsbedingten Gesundheitsgefahr ableiten.
Das Fraunhofer Institut Magdeburg arbeitet daran, den Arbeitsschutz und damit die Arbeitssicherheit im industriellen Arbeitsalltag mithilfe virtueller Realitäten nicht nur zu verbessern, sondern nach Möglichkeit auch interessanter zu gestalten – mittels VR-Brillen und AR-Anwendungen statt Powerpoint-Karaoke, mit Gamification-Charakter statt Frontalunterricht.
Vom britischen Unternehmen Moodbeam wurde ein Armband entwickelt, mit dem Arbeitgeber das aktuelle Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter einschätzen können. Es werden keine physischen Parameter wie Herzfrequenz, Puls oder Ähnliches getrackt. Das mit einer Handy-App und einem Webinterface verbundene Armband verfügt lediglich über zwei Knöpfe, die die Mitarbeitenden betätigen können: Wird der gelbe Knopf gewählt, drückt dies allgemeines Wohlbefinden aus, beim Drücken des blauen Knopfes ist das Gegenteil der Fall. Auf diese Weise soll laut Moodbeam die Stimmung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Homeoffice eingefangen werden, damit die Arbeitgeber auf mögliche Probleme reagieren können.
ISA, ein KI-System des deutschen Hightech Startups Deep Care, möchte als persönlicher digitaler Gesundheitscoach die Mitarbeitenden dabei unterstützen, ungesunde Verhaltensweisen zu erfassen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dabei handelt es sich um ein kleines Gerät, das auf dem Schreibtisch steht und per 3-D-Sensor die Körperhaltung regelmäßig checkt und per Algorithmen ungesunde Verhaltensweisen am Arbeitsplatz aufspürt. Das Besondere: Das System zeichnet keinerlei Daten auf, es funktioniert ohne Kamera und offline.
Die Möglichkeiten von Wearables und Artificial Intelligence im Arbeitsschutz sind sicherlich vielfältig, die angeführten Beispiel zeigen. Bei der Umsetzung müssen jedoch zwei Dinge ausdrücklich beachtet sein: Die Anwendungen selbst dürfen den Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht belasten und die sensiblen Bereiche „Datenschutz“ und „Privatsphäre“ müssen gewährleistet bleiben.
„New Normal“ braucht neue Konzepte – auch beim Arbeitsschutz
Die Digitalisierung selbst ist – und das ist wichtig – immer nur der Auslöser für den Wandel. Diesen so zu gestalten, dass er in der Arbeitswelt weder physischen noch physischen Schaden bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hinterlässt, muss eine gemeinsame Kraftanstrengung aller relevanten Akteur:innen sein und bleiben. Strategien, Konzepte und konkrete Handlungshilfen, wie digitale Technik sicher und der Gesundheit dienlich genutzt werden kann, sollte deshalb ein unumgänglicher Bestandteil im Arbeitsschutz werden.
Die Technik ist die eine Sache. Eine andere, wie sie im Arbeitsschutz zum Tragen kommt – ob sie ihn bereichert, statt zu belasten. Auch Fragen nach einem ausreichendem Schutz persönlicher Daten durch digitale Tools müssen hinlänglich geklärt sein, um das Vertrauen und damit die Akzeptanz etwa in Wearables oder KI zu stärken.
Bei allem, was die Digitalisierung an Veränderungen mit sich bringt, wäre es allerdings falsch anzunehmen, dass neue Arbeitsschutzbestimmungen ausschließlich durch digitale Tools und Technik bedingt werden. Unsere Arbeitswelt scheint insgesamt nach mehr Arbeitsschutz zu verlangen.
Text: Alexa Brandt
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