New Mobility

Wie schnell ist der Stadtverkehr der Zukunft?

Wie schnell sollten Autos in unseren Innenstädten fahren dürfen? Nachdem sieben deutsche Großstädte angekündigt haben, allgemein Tempo 30 einführen zu wollen, wird diese Frage wieder einmal kontrovers diskutiert. 

Die Debatte dreht sich vor allem darum, ob der Verkehr bei 30 km/h sicherer, umweltfreundlicher und effizienter ist als bei 50 km/h. Das lässt sich so einfach aber nicht beantworten. Studien zum Thema liefern zu allen drei Teilfragen gegensätzliche Antworten. Nur um zwei Beispiele zu nennen: Das Umweltbundesamt stellt fest, bei allen drei Punkten überwiegten die Vorteile, der ADAC meint, das Gegenteil sei der Fall. Eine Lösung der verfahrenen Situation scheint nicht in Aussicht.

Beide Studien beziehen sich allerdings auf den Stadtverkehr, wie er im Moment aussieht: Untersucht wurde, wie sich Tempolimits auf einen Verkehr ausüben, der größtenteils aus menschengesteuertem Individualverkehr mit Verbrenner-Motoren besteht. Allgemeine Verkehrsinteressen werden also mit dem selbstbestimmten Fahren abgewogen. Ich frage mich: Wie sieht das in Zukunft aus? Stellt sich die Abwägungsfrage dort in gleicher Weise? Oder etwas konkreter: Braucht ein vernetzter, vielseitiger Verkehr überhaupt noch eine Geschwindigkeitsbegrenzung?

 

Verkehr der Zukunft hat andere Vorzeichen

Wie die Antwort auf diese Frage tatsächlich ausfallen wird, kann man nur abschätzen. Sicher ist, dass der Verkehr zukünftig anders aussehen wird als heute. Das ist zum einen notwendig, um die Umweltbelastungen zu verringern und trotz fortschreitender Urbanisierung eine ähnlich fortschreitende Verstopfung der Innenstädte zu verhindern. Ein veränderter Verkehr wird zum anderen zwangsläufig kommen – die Digitalisierung hat hier, wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft auch, gerade erst damit begonnen, alles auf den Kopf zu stellen.

Am stärksten merkt man erste Veränderungen aufgrund der Digitalisierung im Verkehr durch die unzähligen Transportfahrzeuge, die ihre Runden durch unsere Straßen ziehen. Paketdienste, Essens- und zuletzt auch Supermarkt-Lieferdienste drehen das Verhältnis von Verbraucher:in und Ware um: Die Ware kommt zu den Kund:innen, nicht andersherum. Die Folge sind viele kleine Fahrzeuge, die immer wieder kurze Strecken zurücklegen und mit parkenden Autos um die Seitenstreifen unserer Straßen konkurrieren. Aber auch die Lieferdienste haben sich in den letzten Jahren stark verändert: Statt großen Pakettransportern sieht man zusehends kleine, wendige E-Fahrzeuge, Fahrräder oder Lastenräder. Pilotprojekte mit kleinen autonomen Lieferrobotern deuten auf weitere Entwicklungen hin, die die Vernetzung der sogenannten „letzten Meile“ noch vorantreiben werden.

Doch auch die Verkehrssteuerung verändert sich. Schon lange kann die Straßenlage in Navigationssystemen durch Datenerhebung abgebildet und bei der Routenberechnung berücksichtigt werden. Viele Sensoren an Fahrzeugen helfen beim Abstandhalten und Bremsen oder erlauben in speziellen Situationen autonomes Fahren – beispielsweise auf der Autobahn oder beim Einparken. Im Moment beschäftigt sich die Forschung mit einer Verknüpfung dieser Systeme zu kooperativen intelligenten Transportsystemen (C-ITS): Wie können Daten zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur ausgetauscht werden und so beiden Systemen einen Mehrwert bringen? Wie hilft der Austausch zwischen Fahrzeugen untereinander oder mit den Smartphones von Fußgänger:innen?

Zusammenfassend ist der Verkehr der Zukunft also vielfältiger, vernetzter und oftmals nicht mehr menschengesteuert. Kleine Lieferroboter fahren neben Fußgänger:innen, Fahrräder neben autonomen Elektroautos, Lastwagen neben selbstfahrenden Omnibussen.

Wie kommen die Verkehrsteilnehmer der Zukunft miteinander zurecht?

Das derzeitige Konzept, um Konflikte zwischen den unterschiedlichen Verkehrsmodi zu verringern, trennt sie räumlich: Bürgersteig, Parkplatz, Fahrradweg, Straße. Mit der Durchsetzung dieser Trennung sind viele Städte immer noch beschäftigt, denn sie erfordert viel Platz. Gerade bei engen Straßenstrukturen bereitet dies Probleme. Das wirft auch immer wieder die Frage auf, wie gerecht die Verteilung des öffentlichen Raumes ist.

Ein Verkehr, der noch mehr Verkehrsmodi beinhaltet, wird das Konzept der baulichen Trennung verstärkt infrage stellen. Sollten autonome Fahrzeuge eine eigene Fahrspur erhalten? Was ist mit sogenannter leichter Elektromobilität, also Pedelecs oder E-Scootern? Dürfen kleine Lieferroboter mit auf den Fußgängerweg? Für die Umsetzbarkeit neuer Mobilitätskonzepte sind das wichtige Fragen. Ein Beispiel: Viele Menschen wären bereit, vom Auto auf ein Pedelec umzusteigen, wenn denn die Bedingungen stimmen. Mehr Fahrradwege und bessere ÖPNV-Anbindungen scheinen gute Lösungen zu sein. Eine Umverteilung des öffentlichen Raumes wäre also notwendig.

Die digitale Vernetzung schlägt einen anderen Weg ein, um den Verkehr sicherer und harmonischer zu gestalten: Durch Datenaustausch sollen Fahrzeuge sich gegenseitig wahrnehmen und miteinander kooperieren. Im Idealfall entsteht eine Art „aufmerksames Fahrzeug“, das Gefahren vorhersieht, anderen aus dem Weg geht und sich flüssig in den Verkehr einreiht.

Stadtverkehr der Zukunft muss für alle Verkehrsmodi zugänglich sein – und (zum Teil) langsamer werden

Was hat das alles nun aber mit meiner eingangs gestellten Frage nach der Geschwindigkeit des vernetzten Verkehrs zu tun?

Nun, innerorts gilt momentan Tempo 50, weil man hier Ende der 1950er-Jahre eine gute Abwägung zwischen Sicherheit und Autofahrfreiheit aushandelte. Diese Abwägung wird neu verhandelt werden. Noch ist das menschengesteuerte Auto das meistgenutzte Verkehrsmittel, auch in den Innenstädten. Doch je mehr der Verkehr von Netzwerken bestimmt und je weniger motorisierter Individualverkehr unterwegs sein wird, umso mehr wird ein durch intelligente Systeme live gesteuerter Verkehrsfluss eine Rolle spielen. Ob dabei ein allgemeines, starres Tempolimit von Bedeutung sein kann, ist offen – ein sich dynamisch anpassendes Tempo, das Effizienz und Umweltbelastung optimiert, wird vorstellbar.

Effizienz, Komfort und Sicherheit im Verkehr werden durch einen gleichmäßigen, ruhigen Verkehrsfluss jedenfalls begünstigt. Zu dieser Erkenntnis kommen übrigens beide Studien zu Tempo 30 (ADAC und Umweltbundesamt). Dies kann durch eine intelligente Steuerung gewährleistet werden – auch das merken beide Studien an. Die oben genannten kooperativen intelligenten Transportsysteme sollen genau das bieten.

Teilen sich Pkw, Lkw und öffentlicher Nahverkehr die Straßen mit kleinen autonomen Lieferfahrzeugen, Lastenrädern und Fußgänger:innen, muss die intelligente Steuerung auf alle Geschwindigkeiten eingehen. Das bedeutet nicht, dass ein E-Omnibus mit 15 km/h hinter einem Fahrrad hinterherzuckeln muss – die Differenz der Fahrzeuggeschwindigkeiten wird jedoch nicht allzu groß sein. Eine allgemeinverträgliche Höchstgeschwindigkeit würde also Sinn machen. Ein- und Ausfallstraßen sowie Stadtringen könnten nach wie vor höhere Geschwindigkeiten vorbehalten bleiben.

Ein effizienter, sicherer Verkehrsfluss und die Umweltbelastung sind jedoch nicht die einzigen Faktoren, die die Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte beeinflussen wird. Nicht zu vernachlässigen ist die Akzeptanz der Konzepte in der Bevölkerung. Bislang werden intelligente Lösungen mit skeptischem Interesse betrachtet. Chancen werden wahrgenommen, gehen aber auch mit Sorgen zum Beispiel vor Kontrollverlust einher.

Auch das Bedürfnis nach belebten Stadtvierteln mit einer Neuverteilung des öffentlichen Raumes wird einen Einfluss auf neue Verkehrskonzepte haben. Mehr Raum für Teilhabe und Stadtgrün fasst die Voraussetzungen für eine belebte Innenstadt zusammen. Die Mobilität spielt darin auch eine wichtige Rolle – sie sollte aber mit anderen Bedürfnissen in einem Gleichgewicht stehen.

Der Verkehr der Zukunft muss also Überzeugungsarbeit leisten und Raum für anderes lassen. Er muss sich in die Stadtentwicklung einfügen.

Ein verringertes Verkehrstempo kann in Zukunft vielleicht das leisten, was heute noch nicht gelingen mag: Die Belastung bei Bewohner:innen verringern und gleichzeitig zu einem besseren Verkehrsfluss beitragen. Die Voraussetzung ist eine intelligente Verkehrssteuerung, die das gesamte System Stadt im Blick hat. 

Text: Nils Bühler

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