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Digital Hub Mobility: Innovative urbane Mobilitätskonzepte

Kirstin Hegner hat acht Jahre bei Daimler gearbeitet. Seit nunmehr vier Jahren ist sie Managing Director beim Digital Hub Mobility. Ziel des Hubs ist es, Projekte und Innovationen im Bereich der nachhaltigen Mobilität voranzutreiben und dafür etablierte Unternehmen mit Innovationspartnern aus Gründerszene und Wissenschaft in verschiedenen Formaten zusammenzubringen. Im Rahmen des jüngsten Hub-Projekts „Umparken“ wurden Parkflächen in München-Schwabing „freigeräumt“ und umgenutzt.

Kirsten Hegner Kirsten Hegner

Noch vor einigen Jahren gehörte das Auto zu den wichtigsten Statussymbolen eines deutschen Haushalts. Egal, ob man in der Stadt wohnte oder auf dem Land: Der eigene Mittelklassewagen musste sein. Inzwischen hat sich das Bild grundlegend geändert: Für Jüngere verliert das Auto mehr und mehr an Bedeutung. Aus dem Statusobjekt ist ein Gebrauchsgegentand geworden. Der Bestand dieses „Gebrauchsgegenstandes“ wächst allerdings immer weiter an, weil sich immer mehr Personen in einem Haushalt ein eigenes Fahrzeug leisten können: Mit 47,7 Millionen hat die Zahl der Pkw in Deutschland einen historischen Höchststand erreicht und die Zahl der Haushalte in Deutschland (41,5 Millionen) überschritten. Dies hat Folgen: Aus dem ehemaligen Liebling der Deutschen wird eine Belastung, die gerade in den Städten immer stärker spürbar wird. Das Auto – ruhend oder fahrend – benötigt zu viel wertvollen Raum.

Nachdenken über Innovationen

Kirstin Hegner hat acht Jahre bei Daimler gearbeitet und verfügt über zwei eigene Autos: ein „praktisches Familienauto fürs Skifahren“ und ein „Kleines für die Stadt“. Letzteres benutzen nur noch ihre Söhne, weil sie selbst in der Stadt zu 100 Prozent mit dem Fahrrad unterwegs ist. Sie und ihr Team vom Digital Hub Mobility probieren gerne neue Apps und Mobilitätsangebote aus: „Jeder von uns verfügt über ungefähr 25 Mobilitäts-Apps – noch ist keine dabei, die alles kann.“

Seit nunmehr vier Jahren ist sie Managing Director beim Digital Hub Mobility, einem Bereich der gemeinnützigen UnternehmerTUM, Europas größtem Zentrum für Gründung und Innovation. Der Digital Hub Mobility ist einer von zwölf Hubs, die im Rahmen der deutschlandweiten Digital Hub Initiative durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie initiiert wurden.

Ziel des Digital Hub Mobility ist es, Projekte und Innovationen im Bereich der nachhaltigen Mobilität voranzutreiben und dafür etablierte Unternehmen mit Innovationspartnern aus Gründerszene und Wissenschaft in verschiedenen Formaten zusammenzubringen. Kirstin Hegner: „Wir möchten Antworten finden auf die Herausforderungen der Zukunft. Die Probleme sind so komplex, dass keiner der Akteure sie alleine lösen kann. Es geht darum, neue Wege zu finden und bisheriges Denken und Handeln dort zu überdenken, wo Probleme entstehen. Wir geben Impulse, wie man sein Mobilitätsverhalten nachhaltiger gestalten kann - Menschen zu ,bekehren‘ ist nicht unser Anliegen.“

Umpark-Held*innen gesucht | Foto: UnternehmerTUM Foto: UnternehmerTUM

Das Pilotprojekt „Umparken“ – Einfach mal ausprobieren

Gibt es eine Möglichkeit, Bewohner in urbaner Lage zur Abschaffung des Autos zu motivieren? Diese Frage stellten sich Kirstin Hegner und ihr Team in ihrem jüngsten Projekt. Hintergrund dieser Fragestellung ist eine Diskussion, die derzeit in vielen Städten geführt wird. Parkende Autos nehmen in den Innenstädten einen breiten Raum ein und bringen im Gegenzug nur wenig ein. Vor allem das Anwohnerparken ist äußerst günstig und deckt nicht einmal die Kosten, die hierdurch entstehen. Dabei werden private Pkw im Durchschnitt gerade mal eine von 24 Stunden am Tag genutzt. Gerade die Autos, die kaum bewegt werden, würden Stadtplaner daher gerne „aus der Stadt verbannen“. Kirstin Hegner erklärt: „Stellen Sie sich eine klassische Innenstadtsituation vor. Dort haben sie rechts und links der Straße Häuser, dann den Gehweg, daneben die Parkbuchten, ein bisschen Grün, manchmal Radwege und in der Mitte die Straße. Da ist schlicht kein Platz, um der wachsenden Zahl von Radlern und neuen Fortbewegungsmitteln den nötigen sicheren Platz zu geben. Wenn weniger „ruhender Verkehr“ vorhanden wäre, entstünde zusätzlicher Raum für aktive Mobilität und für Begrünung, Fahrradstellplätze, Gastronomie oder Ruhezonen. Das würde die Stadt insgesamt lebenswerter machen.

Um die richtigen Kandidat:innen für das Projekt "Umparken" zu finden, wurde nach Personen gesucht, die offen sind für ein solches Experiment und keine überdurchschnittliche Bindung an ihren privaten Pkw haben. „Autofans mit Sportwagen oder ähnlichem waren in unserem Projekt nicht vertreten. Aber das war auch nicht geplant. Wir wollten herausfinden, ob die Menschen eventuell zu einem vollständigen Verzicht bereit sind und unter welchen Bedingungen das eigene Fahrzeug entbehrlich ist.

Das Projekt fand im Sommer 2020 in München-Schwabing statt. Es wurde, so Hegner, im Zeitraum von vier Monaten geplant und umgesetzt. „Die Schnelligkeit, mit der wir die notwendigen Partner gefunden haben, hat uns überrascht. Auch die Umsetzung ging deutlich zügiger als erwartet, weil die Landeshauptstadt München tatkräftig unterstützt hat“, so die Projektverantwortliche. „Daran sieht man sehr deutlich, wie brennend diese Fragestellungen für Städte und Gemeinden derzeit sind.“ 

Aktion Umparken | Foto: UnternehmerTUM Foto: UnternehmerTUM
Aktion Umparken | Foto: UnternehmerTUM Foto: UnternehmerTUM

Vier Wochen ohne Auto, aber mit Mobilitäts-Guthaben

Acht Haushalte hat das Team, allen voran Bernhard Kalkbrenner und Maximilian Ritz, rekrutiert, um an dem urbanen Experiment teilzunehmen – alle stellten ihre Autos für vier Wochen außerhalb der Stadt ab. Die Teilnehmenden erhielten ein Mobilitätsbudget von 300 Euro. Damit konnten alle Mobilitätskosten – zum Beispiel für Carsharing, ÖPNV, Leihräder, E-Scooter oder Mietwagen – beglichen werden. Über die App des Start-ups Moovster und ein Mobilitätstagebuch konnte das Nutzerverhalten der Teilnehmenden ausgewertet werden. Hegner erläutert: „Ich fand es sehr interessant zu sehen, wie das Budget verwendet wurde. Im Durchschnitt wurden 220 Euro ausgegeben. Die meisten Strecken wurden mit dem ÖPNV und dem eigenen Fahrrad zurückgelegt. Nur am Wochenende musste für Ausflüge auf andere Mobilitätsangebote zurückgegriffen werden. Interessant ist, dass fast jeder Autobesitzer die Kosten für ein Auto deutlich unterschätzt. Oft um 50 Prozent. Mit Anschaffungskosten, Benzin, Steuer, Parkgebühren etc. liegt man nämlich meist weit über den 300 Euro im Monat, die wir für unsere Teilnehmenden veranschlagt haben. Es lohnt sich für Wenigfahrer also finanziell recht schnell, das Auto bei Bedarf gegen ein solches Bündel von Alternativen – inklusive Mietwagen und Taxi – auszuwechseln.

Nachdem die Parkflächen „freigeräumt“ waren, wurde ein weiterer Baustein im Projekt realisiert: die Umnutzung der Flächen in Kooperation mit den Anwohnern. Sehr schnell wurde deutlich, dass gewonnene Freiflächen in der Nachbarschaft der eigenen Wohnung nicht für alle einen Mehrwert darstellen. Kirstin Hegner: „Einige hatten kein Interesse an einer Umnutzung der frei gewordenen Parkbuchten. Sie befürchteten Lärm oder Menschenansammlungen vor der eigenen Tür.“ Geeinigt habe man sich schließlich auf Pflanzkübel (Urban Gardening) und Fahrradstellplätze. „Man kann nicht alle glücklich machen. Wenn Politik und/oder Stadtplanung etwas an den Gegebenheiten verändern, werden sie immer auf unterschiedliche Interessen stoßen“, resümiert Kirstin Hegner.

Nach Ablauf des vierwöchigen Projektzeitraums wurde Bilanz gezogen. Das einhellige Ergebnis: An Werktagen ist der Verzicht auf das Auto kaum problematisch, da alle Nahziele mit dem Fahrrad oder mittels ÖPNV erreicht werden können. Schwieriger ist die Situation am Wochenende. Für Ausflüge mit der Familie bieten die alternativen Mobilitätsangebote derzeit nach Ansicht der Testpersonen keine optimale Lösung. Züge (vor Pandemiezeiten, Anmerkung der Redaktion) sind zu voll, Mietangebote entweder ausgebucht oder wreden als zu teuer wahrgenommen. „Für die meisten waren die Wochenendausflüge der Grund, warum ein Autoverzicht auf Dauer nicht in Frage käme. Aber immerhin: Drei von acht Haushalten gaben zum Abschluss des Experiments an, ihr Auto azuschaffen. Damit bestätigt unser urbanes Experiment mit kleiner Fallzahl die Ergebnisse vergleichbarer großer Studien. Das war für uns eine freudige Überraschung und hat die Relevanz von „Umparken“ bestätigt.“

Gemeinsam lässt sich viel erreichen – A und O sind gute Netzwerke

Was sind eigentlich die Bedingungen, die Innovationen möglich und erfolgreich machen? Kirstin Hegner ist sich sicher: „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind Netzwerke. Wir als Digital Hub Mobility sehen es als eine zentrale Aufgabe an, verschiedene Player zusammenzubringen und ihre Ideen und Potenziale miteinander zu verknüpfen. Das trägt wesentlich dazu bei, neue Entwicklungen zu stärken.“

Im Bereich Mobilität zeige sich dies besonders deutlich. Die Mobilitätsexpertin erläutert: „Wie schon gesagt, gibt es inzwischen eine enorme Vielfalt an Mobilitätsangeboten, die miteinander kombinierbar und passend zu jeder Gelegenheit genutzt werden können. Bin ich beispielsweise auf Dienstreise, kann ich mittels App einen Leihwagen organisieren, aber auch ein Fahrrad, falls mir das lieber ist. Oder ich steige in Bus oder Bahn. Diese Angebotsbreite macht es einfacher, Alternativen zum eigenen Auto zu finden, die in der jeweiligen Situation keinen Kompromiss darstellen, sondern wirklich gut passen.“ Mit Projekten wie „Umparken“ möchte der Digital Hub Mobility Impulse geben, um andere zum Nach- oder Mitmachen zu aktivieren. Der Ablauf des Experiments wurde veröffentlicht und schafft so die Möglichkeit für andere, etwas Ähnliches aufzusetzen und von den darin gewonnenen Erfahrungen zu profitieren. Kirstin Hegner wünscht sich, dass möglichst viele „Umpark-Projekte“ folgen, um weiterführende Erkenntnisse zu gewinnen und neue Mobilitätskonzepte praktisch erlebbar zu machen. „Wir wollen die Projekte skalieren. In München ist jetzt eine zweite, größere Auflage von "Umparken" geplant und wir würden uns freuen, wenn andere Städte die Idee ebenfalls aufgreifen.“ „Wenn mehr Menschen mitmachen, können noch besser die Defizite des heutigen Mobilitätsangebots in der jeweiligen Stadt identifiziert und neue Angebote entwickelt werden“, meint die erfahrene Projektmanagerin.

Für Kirstin Hegner sind Mobilitätsbudgets, wie sie über die Moovster-App abgebildet werden können, ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltiger Mobilität. In der App wird ein Guthaben hinterlegt – zum Beispiel vom Arbeitgeber –, das für jede Form von Mobilität ausgegeben werden kann. „Das Mobilitätsbudget ist schon heute für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine attraktive Alternative zum Firmenwagen, vor allem in den Betrieben, in denen ein Jobticket nicht möglich oder sinnvoll ist (ländlicher Raum, Anmerkung der Redaktion)", ist sich Kirstin Hegner sicher.

Autonomes Fahren - ein zentrales Thema der Zukunft

Welche Trends sieht Kirstin Hegner im Bereich Mobilität in den kommenden Jahren? „Sicher ist autonomes Fahren ein ganz zentrales Thema der Zukunft. Damit einher geht ein grundlegender Wandel der Mobilität. Da schon jetzt das Verkehrsnetz überlastet ist, gilt es, Leerfahrten unbedingt zu vermeiden. Wenn ich beispielsweise autonom zur Arbeit fahre und im Büro feststelle, dass meine Brille fehlt, könnte ich das Auto zurückschicken, um die Brille zu holen. Solche Zusatzfahrten wären katastrophal. Daher ist eine Verknüpfung von autonomem Fahren und Sharing oder Pooling aus meiner Sicht unabdingbar.“

Für Versicherungen seien solche Trends ebenfalls von grundlegender Bedeutung. Es gelte, ganz neue Modelle und Konstellationen abzubilden. Versicherer seien darüber hinaus ein wesentlicher Player, um sich in Projekte und Pilotstudien einzubringen. 

Das Gespräch führte Sabine Haas.

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