Die Schifffahrt, vor allem die Frachtschifffahrt, wird bestimmt durch einen enormen Preis- und Konkurrenzdruck. Von einer fortgeschrittenen Digitalisierung kann man jedoch nicht in allen Bereichen sprechen – dabei könnten holistische Vernetzungssysteme dem europäischen Schiffsbau und der Umwelt viel Gutes tun.
Der Organisationsaufwand, um einen Container von Europa nach Brasilien zu verschiffen, ist enorm. Der reibungslose Ablauf am Containerterminal – ein an sich schon kaum zu überblickender Prozess – ist dabei nur ein kleines Puzzleteil: Das Frachtschiff muss mit Treibstoff und Personal versorgt, gewartet oder repariert, gelotst und durch Wetterereignisse navigiert werden.
All diese Puzzleteile hängen wiederum von eigenen Organisationen ab: Die Treibstoffversorgung muss in sogenannten Bunkerhäfen erfolgen, das Personal regelmäßig ausgewechselt werden, die Wartung geschieht in Trockendocks und die Einfahrt in einen Hafen hängt von der dortigen Belegung ab und wird durch örtliche Lotsen durchgeführt. Das Wetter ist zwar einigermaßen voraussagbar, aber eben nicht zu beeinflussen.
Wie aber bringt man das alles zusammen? Klassischerweise ist das die Aufgabe von Reedern und Bordpersonal. Doch gerade in einer Branche, die unter starkem Zeit- und Preisdruck steht, stellt sich dabei die Frage nach der Effizienz. Bislang ist es leider noch Usus, dass Schiffsfrachtunterlagen am Hafen in ausgedruckter Form vom Hafen an das Schiff und andersherum übergeben werden. Die Prüfung erfolgt händisch – ein wahnsinniger Aufwand für das Personal. Auch im Trockendock ließen sich Prozesse beschleunigen: Der Zustand eines Schiffes wird oftmals erst bekannt, wenn es schon im Dock liegt. Und in einigen Ländern, zum Beispiel in Brasilien, werden keine Voranmeldungen an Häfen zugelassen, dort gilt: „First come, first serve“. Liegezeiten von mehreren Tagen sind da unumgänglich.
Diese etwas nüchterne Bilanz wurde nicht erst vor Kurzem gezogen. Seit einigen Jahren wird intensiv geforscht und entwickelt, um die Effizienz in der Frachtschifffahrt mithilfe digitaler Mittel zu erhöhen. Das dient auch der Konkurrenzfähigkeit der Branche. Vor allem die Binnenschifffahrt verliert Marktanteile an andere Verkehrsmittel – auch an die Straße. Dabei könnte sie die Dekarbonisierung vorantreiben, hat sie doch eine deutlich bessere Klimabilanz.
Die Lösung scheint also auf der Hand zu liegen: Statt aufwändiger manueller Meldeprozesse sollten vernetzte Management-Tools eingesetzt werden, auf die alle Beteiligten Zugriff haben. Das sogenannte „Voyage Planning“ könnte so für alle erleichtert werden und zum „Holistic Voyage Planning“ werden. Dieser ganzheitliche Ansatz sieht vor, dass relevante Informationen nicht an die betreffenden Akteure gesendet werden, sondern dass umgekehrt alle Beteiligten auf ein Informationssystem zugreifen können. Voraussetzung ist, dass der Zustand des Schiffes, der Ladung und der Zulieferer in standardisierten Daten zentral erhoben wird.
Der Vorteil: Alle Beteiligten sind nicht mehr von Anweisungen einer koordinierenden Stelle abhängig, sondern können selbstständig auf sich verändernde Situationen reagieren. Um zwei Beispiele zu nennen: Eine Spedition, die einen Container zum Hafen bringt, kann sich zeitlich an der Ankunft des Schiffes orientieren und die eigene Anfahrt optimieren, und das Trockendock kann die notwendigen Reparaturen und Wartungen vorbereiten, wenn es den Zustand eines Schiffes schon im Vorhinein überwacht.
Die Voraussetzungen für ein solches System sind technisch schon lange gegeben. Es gibt auch bereits Umsetzungen, allerdings eher im Entwicklungsstadium oder in kleineren Anwendungsfeldern. Die Schwierigkeit liegt ganz wo anders: Logistiksysteme umspannen die ganze Welt und müssen immer eine Vielzahl von Akteuren integrieren. Nur internationale Standards können in so komplexen Systemen zu effizienter Vernetzung führen, andernfalls droht eine Fragmentierung der Branche. Der Standardcontainer ist ein positives Beispiel: Dank der normierten Maße ist er international und unternehmensunabhängig einsetzbar. Für einige Bereiche in der Schifffahrt existieren diese Standards also bereits. Für holistische Systeme reichen diese bislang aber noch nicht aus.
Noch ist Smart Shipping in dem hier vorgestellten Umfang also eine Vision. In der EU werden Projekte zur Entwicklung mittlerweile aber stark gefördert. Der Hauptgrund: Die meisten Schiffe werden wegen niedrigerer Produktionskosten in Asien gefertigt, in der EU sind es nur noch große Spezialschiffe. Vernetzte und autonome Schiffe stellen deshalb die größte Hoffnung für die hiesige Industrie dar.
Das von der EU finanzierte Flaggschiff-Projekt Autoship setzt diese Vision gerade um. Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung zweier autonomer Frachtschiffe für den Binnen- bzw. Küstenverkehr, inklusive der Erforschung der ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen dieser Technologie. Die Schiffe werden nicht von ihrer Brücke gesteuert, sondern nur noch vom Computer aus überwacht. Nach der Entwicklung der Schiffe sollen sie auch mit der Infrastruktur vernetzt werden. Die Technologie ist erfolgsversprechend, da Schiffe wegen der langsameren Geschwindigkeit leichter ferngesteuert werden können.
Für die Infrastruktur selbst sind ähnliche Projekte in Entwicklung: Mithilfe von Wasser- und Luftdrohnen sollen Pier- und Hafenanlage autonom überwacht werden. Die Drohnen liefern Daten zum Zustand der Befestigungsanlagen und zur Bodenbeschaffenheit, die dann automatisch ausgewertet werden können. Dadurch sollen Pannen und Unfälle frühzeitig vermieden werden.
Obwohl der Weg noch weit ist, so kann man nicht behaupten, es gebe keine Entwicklungen in Sachen Smart Shipping. Die Effizienz und Konkurrenzfähigkeit der maritimen Logistik ist sicherlich das Hauptaugenmerk der derzeitigen Bemühungen, doch auch darüber hinaus wird die Digitalisierung die Frachtschifffahrt verändern – und tut es auch schon heute.
Einzelne Elemente in den Lieferketten haben bereits einen sehr hohen Vernetzungsgrad. Sendungsverfolgung wird nicht nur von Privatkunden bei der Auslieferung von Paketen stark nachgefragt: Logistikunternehmen und Empfänger großer Warentransporte haben ein großes Interesse daran, den genauen Verlauf einer Sendung nachzuvollziehen. Viele Frachtunternehmen erlauben daher bereits die genaue Nachverfolgung von Fracht mittels angebrachter GPS-Sender.
Diese Daten sind nicht nur für die direkt beteiligten Unternehmen interessant. Die penible Nachverfolgung von Sendungen kann zum Beispiel auch dazu verwendet werden, die Herkunft von Produkten und Rohstoffen nachzuvollziehen. Das kann Qualitätssiegel glaubhafter machen, die Lieferkette im Sinne des Menschenrechts überprüfbar machen und Versicherungen Garantien über die sorgfältige Behandlung der transportierten Güter ermöglichen. Lückenlose Überwachung einer Lieferung kann auch Betrug oder Diebstahl vorbeugen.
Um die Digitalisierung in der Frachtschifffahrt ist es noch nicht sonderlich gut bestellt, wenn man die Logistik als Gesamtsystem betrachtet. Viele einzelne Beteiligte im Frachtprozess können bereits einen hohen Digitalisierungsgrad vorweisen – sei es bei der Nachverfolgung von einzelnen Containern, bei der Abfertigung von Fracht in High-Tech-Häfen wie dem Hamburger Hafen oder seien es Pilotprojekte für autonome Schifffahrt. Was bisher noch fehlt, sind holistische vernetzte Systeme, die all diese Puzzleteile in standardisierter Weise zusammenbringen. Dafür sind gemeinsam festgelegte Normen und Zielsetzungen unabdingbar. Viele Projekte und Visionen lassen jedoch erahnen, dass eine Digitalisierung des maritimen Sektors der Branche selbst, den davon abhängigen Wirtschaftssparten und auch der Umwelt viel Gutes bringen kann.
Text: Nils Bühler
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