Zwillinge gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Dies gilt auch für so genannte digitale Zwillinge. Diese werden im Industrie- und Fertigungsbereich oder auch bei der Städteplanung und -entwicklung positiv wahrgenommen, eben weil sie sich so ähnlich sind.
Immer mehr Daten werden in und über unsere urbanen Lebensräume erhoben und gesammelt. Für die Entwicklung unserer Städte kann dies von großem Vorteil sein, nämlich dann, wenn die gewonnenen Informationen genutzt werden, um sie in ein dynamisches digitales Abbild zu übertragen. Zur Erschaffung solcher digitalen Zwillinge werden zunächst einmal Ist-Zustände auf vielen unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen einer Stadt festgehalten, um im Anschluss daran kluge Verknüpfung für zukünftige Entscheidungen in der Stadtplanung treffen zu können. Natürlich wurden solche Informationen auch in vordigitalen Zeiten zusammengeführt. Aber nie zuvor war es so einfach bzw. möglich, diese in einer Art holistischem System abzubilden, zu visualisieren und anschließend zu skalieren.
Der Möglichkeit zur Visualisierung kommt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle auf einer anderen Ebene zu: der politischen. Denn Argumente für eine neue Versorgungsanlage oder den Wechsel auf smarte Technologien – etwa bei der Beleuchtung einer Stadt – lässt sich besser verargumentieren, wenn sie bildhaft dargestellt und damit im wahrsten Sinne offensichtlich wird. Jede Stadt, die nachhaltiger und klimafreundlicher werden möchte, kommt aufgrund der komplexen Zusammenhänge im Städtebau langfristig an der Konzeption auf dem digitalen Reißbrett kaum mehr herum.
Das Ziel digitaler Zwillinge ist es also, urbane Zustände und Prozesse auf der Grundlage einer detailreichen und nach Möglichkeit aktuellen Datenbasis zu optimieren. Zukünftige Planungen, Lösungen oder technische Anwendungen werden per digitaler Techniken ins Bild gesetzt und ihre Funktion im Gesamtgefüge der Stadt simuliert. Hierzu braucht es im ersten Schritt alle vorliegenden Daten einer Stadt – etwa in Form von physischen oder digitalen Karten. Diese werden sodann in ein dreidimensionales Modell überführt. Das kann mittels 3-D-Druck oder 3-D-Simulation geschehen. Anschließend werden aus den bisherigen „Datensilos“ der unterschiedlichen städtischen Bereiche die raumrelevanten Daten miteinander vernetzt. Im Grunde schaffen die digitale Zwillinge damit die Basis, smarte Städte zu konstruieren und weiterzuentwickeln. Sie helfen, die Beteiligten aller Bereiche in Kenntnis einer einheitlichen Datenlage und Problematik zu versetzen. Und sie zeigen konkrete Perspektiven auf. Auch die Bürger*innen einer Stadt können so bereits im Vorfeld über die möglichen Entwicklungen besser informiert und einbezogen werden. Soweit die Theorie.
Als einer der Vorreiter in Sachen „Digital Twins in der Städteplanung“ gilt hierzulande ein Bündnis, das sich seit einigen Jahren sich mit der Thematik „Stadt der Zukunft“ auseinandersetzt: die Morgenstadt-Initiative. Dabei handelt es sich um ein Innovationsnetzwerk aus unterschiedlichen Fraunhofer-Instituten, Kommunen und Unternehmen. Es wurde 2012 ins Leben gerufen und verfolgte bis zum Jahr 2020 ein Drei-Phasen-Programm. In der ersten Phase ging es zunächst einmal darum, überhaupt ein Verständnis für urbane Systeme zu schaffen, indem Schlüsselsektoren für die Stadt der Zukunft bestimmt und weltweit in der Erprobung befindliche Konzepte und Innovationen identifiziert wurden. In der zweiten Phase floss das bis dahin erlangte Wissen in die Entwicklung urbaner Pilotviertel- und -städte ein. Anschließend sollte es um die die konkrete Umsetzung für innovative Stadtprojekte gehen. Mit dem Start des Digital City Programs sollen ab diesem Sommer die Inhalte und Ergebnisse der Initiative mithilfe von digitalen Zwillingen und VR-Anwendungen in einem regionalen und lokalen Umfeld zum Einsatz kommen. Den Start für die Musterprojekte macht die niederländische Stadt Eindhoven.
Anfang 2019 startete die Stadt München mit ihrem Pilotprojekt Connected Digital Twins. Das erklärte Ziel war „die Entwicklung neuer, innovativer Anwendungsfälle für die Stadtentwicklung und Beteiligungsformen.“ Im Fokus der Bestrebungen beim Einsatz der digitalen Zwillinge steht für die Stadt München, eine bessere Luftqualität zu erreichen und so nachhaltig den Klimaschutz durch datengestützte Maßnahmen zu fördern. Stichwort: klimaneutrale Mobilität. Mithilfe der virtuellen Abbildung soll die Verteilung und tatsächliche Nutzung von Sharing-Angeboten im Mobilitätsbereich analysiert und aus den gewonnenen Informationen dann die optimale Auslastung im städtischen Raum mit dem Ziel der Luftschadstoffreduzierung erreicht werden. Einen recht detaillierten Einblick in den Stand der Entwicklungen gab es zum Ende des letzten Jahres beim #OGTM20.
Der Insel- und Stadtstaat Singapur gilt als eines der Vorzeigemodelle, wenn es um den Aufbau und die Nutzung eines digitalen Zwillings geht. Die gesamte Stadt wurde inzwischen mit detailreichen statischen, dynamischen und zeitnahen Informationen in einem 3-D-Modell festgehalten. Bei Krisenlagen können mithilfe des digitalen Abbilds Szenarien erprobt werden, um die akute Situation etwa bei einem Unwetter besser einschätzen und angemessen darauf reagieren zu können. Auch kann der das digitale Abbild dabei helfen, den knappen Wohnraum der Stadt optimal zu nutzen und auf die besonderen klimatischen Bedingungen vor Ort bei der weiteren Bebauung zu reagieren. Im Rahmen des Projekts „Cooling Singapore“ erarbeiten Städteplaner mögliche Lösungen, um die vor Ort oftmals für die Bewohner:innen belastende Hitzeentwicklung zu mindern. Bebauungsszenarien, Materialeinsatz oder auch Gebäudebegrünungskonzepte werden mit ihren möglichen Auswirkungen im Zwilling getestet. Deep-Learning-Technologien, AI und eine gute Cloud-Infrastruktur liefern die Basis, um all dies möglich zu machen. Dass ein solches Vorhaben seinen Preis hat, ist klar. Rund 45 Millionen Euro soll der Bau des digitalen Stadtklons gekostet haben.
Die vergangenen Wochen haben uns einen Eindruck davon vermittelt, welche Rolle der Städteplanung im Hinblick auf die Klimakrise zukommt, wenn der Lebensraum Stadt klug gestaltet und die Menschen, ihre Gebäude und die Infrastruktur vor möglichen Auswirkungen derselbigen geschützt werden sollen. Obgleich die Investitionskosten zunächst einmal immens erscheinen, so wird doch schnell klar, dass diese notwendig werden, um unsere Städte in vielen unterschiedlichen Bereichen fit für die Zukunft zu machen. Langfristig dürfte das Kosten einsparen. Die Erhebung „Digital Twins and Urban Infrastructure Planning application analysis“ des Unternehmens ABI Research kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass Städte durch den Einsatz von digitalen Zwillingen in der Stadtplanung bis 2030 Kosteneinsparungen in Höhe von 280 Milliarden US-Dollar erzielen könnten. Neben einer guten digitalen Infrastruktur bedarf es hierzu aber auch zunehmend guter Management-Tools und ausgebildeter Fachkräfte.
Text: Alexa Brandt
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