Der Angriff auf die Ukraine sorgt neben den Katastrophen im Land selbst auch weltweit zu neuen Herausforderungen. Russland hat Mitte März einen Exportstopp für Getreide verkündet, die Ukraine wird aufgrund der Kriegsschäden erstmal keines mehr liefern können – viele Felder liegen aufgrund des Krieges brach. Die Konsequenzen sind dramatisch, denn sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den weltweit größten Weizen-Exporteuren. Gerade die Ukraine wurde oft als die „Kornkammer Europas“ bezeichnet. Aufgrund der Situation befürchtet die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) eine weltweite humanitäre Katastrophe. In zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern führe ein Stopp der Weizenexporte aus Russland und der Ukraine zu Engpässen. Zudem besteht die Gefahr, dass es zu einer lang andauernden Unterbrechung der Düngemittelproduktion und damit zu einem massiven Preisanstieg kommt.
Die steigenden Energiekosten treiben auch die Preise für Düngemittel in die Höhe. Ursache dafür sind vor allem die hohen Gaspreise, die etwa 80 Prozent der Kosten für die Produktion von Stickstoffdünger ausmachen. Viele Landwirte zögern daher beim Kauf und hoffen auf eine Entspannung. Daher ging die Nachfrage in letzter Zeit stetig zurück und Hersteller drosselten die Produktion. Folglich wurden Düngemittel knapp, was wiederum einen Preisanstieg bedeutete.
Russland spielt auch beim Thema Düngemittel eine wichtige Rolle: Als Lieferant von Erdgas, Stickstoff, Phosphat und Kali. Zusammen mit Belarus gehört das Land zu den größten Kaliproduzenten der Welt. Eine Alternative zu den teuren und knappen Mineraldüngern könnte möglicherweise natürlicher Dünger sein. Aber: Vermischen sich Harn und Kot von Nutztieren miteinander, entsteht Ammoniak, und bei der Gülleausbringung gelangt Stickstoff in die Luft. Schon seit Jahren wird daher geforscht und nach Lösungen gesucht, wie unterschiedliche Zusatzstoffe diese Emissionen reduzieren können.
Die Gesamtsituation stellt also die Lebensmittelbranche und die weltweite Agrarwirtschaft vor eine riesige Herausforderung. Zügige Innovationen sind erforderlich. Jetzt könnten technologische Lösungen die Branche vorantreiben. So sind, wie Innovation Origins auf Grundlage einer Studie schreibt, beispielsweise Düngemittel mit kontrollierter Freisetzung Teil eines nachhaltigen Ansatzes für die Landwirtschaft. Dieser Ansatz ist auch als Precision Farming bekannt. Er soll die Erträge aus der Ernte verbessern und die Nährstofffreisetzung mithilfe von Datenanalyse, künstlicher Intelligenz und diversen Sensorsystemen minimieren. So kann genau bestimmt werden, wie viel Düngemittel und Wasser Pflanzen wann brauchen. Dazu sollen autonome Fahrzeuge eingesetzt werden, die die Nährstoffe nach genauen Vorgaben verteilen. Das ist allerdings noch sehr kostenintensiv. Düngemittel mit kontrollierter Freisetzung seien dagegen schon recht preiswert, heißt es in dem Beitrag weiter.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat im April 2021 eine Broschüre zum Stand der Technik in der Landwirtschaft in Deutschland herausgegeben. So kommen zum Beispiel bereits Traktoren zum Einsatz, die auf einem hohen technologischen Stand sind. Automatisierung, Datenmanagement und Dokumentationsaufgaben gehören zu den technischen Leistungsmerkmalen eines solchen Traktors, der in der Pflanzenproduktion eingesetzt wird.
Auch die Nutzung von mit Satelliten gewonnenen Daten ist in der Agrarwirtschaft bereits weit vorangeschritten. So kann ein Traktor mit Satellitennavigation und Korrektursignal mittels Lenkhilfen und Spurführung auf bis zu zwei Zentimeter genau gesteuert werden. Damit lassen sich mehrere Arbeitsschritte bereits mit nur einem Traktor in einem einzigen Arbeitsschritt realisieren. Die Prozesse sind aufeinander abgestimmt, Rüstzeiten und mehrfache Feldüberfahrten fallen weg. Das bedeutet eine Entlastung der Umwelt sowie Einsparungen von Zeit, Kraftstoff und weiteren Betriebsmitteln.
Die Digitalisierung der Produktionsprozesse macht auch im Bereich der Tierhaltung große Fortschritte. Autonome Komponenten sowie komplett automatisierte Systeme sind in den Ställen hierzulande bereits weit verbreitet: Im Einsatz befinden sich zum Beispiel Melkroboter, Spaltenreiniger, Lüftungssysteme oder Fütterungsautomaten. Die Futterausgabe wird über das Tablet oder Smartphone gesteuert. Roboter sollen helfen, Unkraut zu jäten und Saatgut zu streuen. Der Einsatz von automatischen Melksystemen führt nach einer Analyse des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) zu einer durchschnittlich sieben Prozent höheren Milchmenge.
Roboter werden in der Tierhaltung ebenfalls eingesetzt – und zwar in der Fütterung und Reinigung sowie zum Umsetzen von Weidezäunen. Grundsätzlich kann die Digitalisierung helfen, Prozesse sowie Arbeitsteilung in landwirtschaftlichen Betrieben oder auch im Bereich der Pflanzenschutz- und Dünge- sowie Futtermittelherstellung zu optimieren. Kosten für Produkte, Betriebsmittel und Dienstleistungen lassen sich mithilfe von digitalen Systemen verringern. Das heißt, der Weg geht ganz klar immer weiter in Richtung Smart Farming.
Geräte, Maschinen und Systeme sollen miteinander vernetzt werden und Datengrundlagen für Prognosen und Entscheidungshilfen schaffen, um so die Prozesse in der Landwirtschaft zu optimieren. Smart Farming heißt zudem, dass die Ernte vollautomatisch eingefahren werden kann. Der Landwirt muss den Vorgang dann nur noch am Rechner überwachen und gegebenenfalls die Qualitätskontrolle direkt auf dem Feld übernehmen. Landwirtschaftsmaschinen müssen hierzu in der Lage sein, autonom zu fahren. Technisch wäre das zwar bereits möglich, in der Breite ist es in Deutschland aber noch nicht umgesetzt worden. Das liegt unter anderem an der noch ungeklärten rechtlichen Situation bei Unfällen. Bislang muss der Fahrer die Maschine fernsteuern oder selbst in der Kabine sitzen, auch wenn das Fahrzeug selbstständig fährt.
Kurz gesagt, mit Smart Farming oder auch Präzisionslandwirtschaft ist die Kombination von Informations- und Kommunikationslösungen (ICT) gemeint. Darunter fallen zum Beispiel das Internet der Dinge (IoT), Big Data, Geo-Positionierungssysteme, Sensoren und Aktoren, Drohnen, Robotik und einiges mehr.
Die digitalen Möglichkeiten in der Landwirtschaft sind komplex und stellen viele Landwirte vor neue Herausforderungen. Zu Recht fragen auch viele von ihnen, welche Systeme sich für den eigenen Betrieb eignen und wie man sie miteinander verknüpfen kann. Für alle Fragen rund um die Digitalisierung hat die Landwirtschaftskammer NRW gemeinsam mit dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz das Zentrum für Digitalisierung in der Landwirtschaft eingerichtet.
Die Chancen in der Digitalisierung in der Landwirtschaft liegen vor allem in Krisenzeiten wie diesen in der Optimierung der zeitlichen und finanziellen Aufwände. Mehrere Arbeitsprozesse können zusammengelegt und damit vereinfacht werden. Eine schnellere und effizientere Landwirtschaft bedeutet mehr Unabhängigkeit von Zulieferern. Neue Möglichkeiten, zum Beispiel beim Einsatz von Sensoren, bietet der Mobilfunkstandard 5G.
Zu den großen Herausforderungen für Smart Farming gehören sowohl die Datenhoheit als auch die Datensicherheit. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) möchten sich landwirtschaftliche Betriebe bei der Zusammenstellung des Fuhrparks nicht auf einen Hersteller festlegen. Wichtig ist ihnen viel mehr, dass die digitalen Tools der Geräte miteinander kombiniert werden können. Ist die Kompatibilität zwischen Maschinen verschiedener Hersteller nicht gegeben, könnte das zu Wettbewerbsnachteilen führen.
Datensicherheit muss ebenfalls gewährleistet sein. Es muss ausgeschlossen werden, dass Hersteller oder Händler sensible Daten von Landwirtschaftsbetrieben nutzen, um Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Um das Vertrauen und die Akzeptanz des Smart Farming nicht zu gefährden, müssen Datenhoheit und Datensouveränität der landwirtschaftlichen Betriebe beachtet werden, auch im Hinblick auf Betriebsgeheimnisse. Nur so ist eine weitere Entwicklung möglich.
Auch die Sicherheit ist ein Thema. Angriffe von Hackern oder technische Störungen könnten die Sicherheit des Betriebes gefährden. Dies kann in der Landwirtschaft zu großen zu Problemen und sogar Schäden hinsichtlich Fütterung, Melken oder Ernte führen.
Die Digitalisierung in der Landwirtschaft bietet weitreichende Möglichkeiten, Workflows zu vereinfachen, Aufwände zu reduzieren und mehr Effizienz zu schaffen. Das bedeutet auch eine immer größere Unabhängigkeit von Importeuren und die Möglichkeit, gegebenenfalls schnell auf Krisensituationen zu reagieren. Gleichzeitig müssen technische Voraussetzungen für unterschiedliche Betriebe und die Datensicherheit gewährleistet sein. Die Bereitschaft zu zunehmender Digitalisierung in der Landwirtschaft ist offenbar vorhanden. So haben laut einer repräsentativen Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und der Landwirtschaftlichen Rentenbank (LR) 2020 bereits acht von zehn Landwirten auf digitale Technologien gesetzt. Damals hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig eine funktionierende Land- und Ernährungswirtschaft ist. Das Bewusstsein für die Chancen durch Digitalisierung ist gewachsen. In der aktuellen Situation zeigt sich wieder, wie entscheidend das Thema ist.
Text: Mirjam Wilhelm
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