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Blockchain, Bitcoin & Co. – wieviel Potenzial steckt in diesen Technologien?

Was ist eigentlich ein Bitcoin? Und was macht Blockchain so interessant? Warum ist immer öfter von Kryptowährung die Rede? Kann man seinen Kaffee schon bald mit Bitcoin zahlen? Diese und viele andere Fragen haben wir dem Mathematiker Markus Hablizel gestellt. Der promovierte Innovations-Manager ist 36 Jahre alt, Experte für Kryptographie/Blockchain und für die Munich Re in München tätig.

Mathematik ist für viele ein Thema, das schon in der Schule ein Albtraum war. Für Markus Hablizel ist es eine Leidenschaft: Zahlentheorie, Kryptographie – bei diesen Stichworten blüht der gebürtige Baden-Württemberger auf: „Mich haben diese Themen schon immer fasziniert, daher habe ich auch im Bereich der Zahlentheorie promoviert. Für mich ist Blockchain eine der bedeutendsten Erfindungen des gegenwärtigen Jahrzehnts. Die damit verbundenen Entwicklungen sind überaus spannend, da sich dadurch sehr viele neue Möglichkeiten eröffnen.“

Aber was ist Blockchain? Und wie hängt es mit Kryptographie zusammen?

„Kryptographie ist die Lehre von der Verschlüsselung. Diese wiederum basiert in der Regel auf der Zahlentheorie. Einfache, sogenannte synchrone Verschlüsselungen kennen die meisten: Sender und Empfänger einigen sich darauf, welche Zahl für welche Bedeutung steht – und haben damit haben beide einen ‘Schlüssel‘, um Nachrichten zu verschlüsseln und zu entschlüsseln“, erläutert Hablizel. „Eine elementare Weiterentwicklung der Kryptographie entstand durch die Entwicklung sogenannter asymmetrischer Verfahren. Das Besondere bei dieser Art der Verschlüsselung ist, dass Sender und Empfänger nicht über denselben Schlüssel verfügen müssen. Das bedeutet, es muss keine – oft unsichere – Übermittlung des Schlüssels erfolgen. Stattdessen gibt es einen Verschlüsslungsschlüssel (public key) auf der einen Seite und einen davon unabhängigen Entschlüsselungsschlüssel (private key) auf der anderen Seite. Dieses Verfahren wurde Anfang der 1970er-Jahre entwickelt und bietet die Möglichkeit, den Verschlüsselungs-Key zu veröffentlichen, ohne dass damit automatisch eine Entschlüsselungsmöglichkeit gegeben ist. Alle verschlüsselten Datenübertragungen im Netz nutzten diese Verfahren, und diese bilden auch die Basis für Blockchain“, verdeutlicht Hablizel.

„Das Entscheidende bei Blockchain“, erklärt der Experte weiter, „ist neben der Verschlüsselung allerdings die Dezentralität. Das heißt, dass es keine zentrale Stelle für die Verwaltung oder Validierung der einzelnen Transaktionen geben muss. Jede einzelne Transaktion wird innerhalb der Blockchain-Infrastruktur in einer Kette einzelner Blöcke (Blockchain) gespeichert, sodass eine Art dezentrales Kontenbuch entsteht. Jede Veränderung in diesem wird also dezentral dokumentiert und ist jederzeit aktuell. Das sogenannte 'Double Spending' – also die mehrfache Nutzung derselben Einheit einer Kryptowährung – ist ausgeschlossen. Damit ist die Basis für den Zahlungsverkehr ohne zentrale Instanz wie eine Bank, PayPal oder Ähnliches gegeben.“

Blockchain ist die Infrastruktur, Bitcoin die „Währung“

Die technologische Neuerung Blockchain stellt also eine Art Revolution dar, die weit über den Bitcoin hinausgeht. Dennoch ist Bitcoin bei weitem die populärste Anwendung, die derzeit mit Blockchain verbunden wird: „Der Bitcoin wird oft als digitale Währung bezeichnet, was aber genau genommen nicht ganz stimmt. Eine Währung ist definitionsgemäß immer eine von einem Staat oder Institution (wie die Europäische Union) anerkannte Zahlungsart (ein 'hoheitlich geordnetes Geldwesen'). Das trifft auf Bitcoin nicht zu, da diese Zahlungsart, vollkommen unabhängig von Nationen und Staaten, rein userbasiert etabliert wurde. Bitcoin ist ein Zahlungsmittel, das de facto anerkannt, von den eigentlichen Währungen aber vollkommen unabhängig ist. Als sogenannte Krypto-Währung hat sich der Bitcoin durchgesetzt. Es wird derzeit immer stärker auch von etablierten Unternehmen in ihn investiert. Ich gehe davon aus, dass er nicht mehr verschwinden wird.“

Werden Banken damit überflüssig?

Markus Hablizel ist mit Blick auf die Bankenbranche optimistisch: „Blockchain hat sicherlich disruptive Kraft und wird vieles verändern. Daher müssen sich Banken mit dem Thema beschäftigen. Aber Banken als Institutionen werden dadurch aus meiner Sicht in keiner Weise überflüssig. Zum einen, weil es sicherlich immer verschiedene Arten des Zahlungsverkehrs geben wird. Zum anderen, weil Banken auch andere Aufgaben haben. Die Rolle der Banken wird sich allerdings wandeln. So muss zum Beispiel der individuelle Entschlüsselungs-Schlüssel, über den nur der Empfänger von kryptographischen Daten verfügt, irgendwo sicher verwahrt werden. Dies ist möglicherweise ein künftiges neues Aufgabenfeld für Banken.“ Außerdem, so der leidenschaftliche „Krypto-Fan“ weiter, würden derzeit Bitcoin weniger als Zahlungsmittel genutzt, sondern eher als langfristiges Investment – ähnlich wie Gold. „Es gab mal“, meint Hablizel sich zu erinnern, „in Berlin-Kreuzberg die Bar Room77, bei der man sein Bier mit Bitcoin zahlen konnte – also mit Anteilen davon, denn ein einzelner Bitcoin lag damals auch schon bei zehn- bis zwanzigtausend Euro –das wäre ein teures Bier. Aber eigentlich spielt Bitcoin als Zahlungsmittel derzeit keine Rolle.“

 

Bitcoin verlässt die Ecke der Nerds

Dennoch, so Markus Hablizel weiter, sei zu beobachten, wie rasant sich „Krypto-Währungen“ entwickeln: „Ich befasse mich seit 2013 mit dem Thema. Damals und noch bis etwa 2016 war Bitcoin eher in der Ecke von Nerds zu verorten.“ Gerade in den vergangenen zwölf Monaten habe sich dies aber sehr geändert, und viele institutionelle Organisationen hätten einen kleinen Teil ihrer Assets in Bitcoin investiert. Dies ist nach Ansicht von Hablizel positiv, weil es bedeuten könnte, dass die starke Volatilität, die den Bitcoin-Wert in der Vergangenheit geprägt hat, damit etwas herausgenommen würde: „Ich gehe davon aus, dass diese Investoren ein längerfristiges Interesse haben und keine kurzfristigen Trading-Gewinne einstreichen wollen.“

Für die Versicherungsbranche sei die „Krypto-Währung“ und was damit zusammenhänge durchaus ein großes Wachstumsfeld, bekundet Hablizel: „Es ist ganz ähnlich wie eine Cyberversicherung, die noch vor zehn Jahren ein zartes kleines Pflänzchen gewesen ist. Heute kommt kein größeres Unternehmen mehr ohne aus.“ Und, so Hablizel weiter: „Wir bekommen mehr und mehr Anfragen im aus dem B2B-Bereich von Kunden, die ihr Produkt aus den Bereichen Blockchain, Krypto-Währung etc. gegenüber ihren Kunden, die dort Geld anlegen, absichern wollen.“ Besonders viel diskutiert habe man in den vergangenen Wochen über das Thema NFT (Anmerkung der Redaktion: „nicht fungible Tokens“). Diese Tokens sind einmalig, können also nicht repliziert und nicht zerstört werden. Damit bilden sie die Basis für den Besitz virtueller Güter – etwa virtuelle Kunst. „Da der Markt hierfür mehr und mehr wächst, wird das Thema NFT weiter an Fahrt aufnehmen“, ist sich der begeisterte Mathematiker sicher. Damit erschließe sich seiner Ansicht nach ein weiteres Feld der Risikoabsicherung für Versicherer. 

Die Blockchain ist spannender als Bitcoin

Für den promovierten Zahlentheoretiker ist es aber nicht das Phänomen Bitcoin, das ihn vor allem fasziniert. Viel stärkere Innovationskraft sieht er im Bereich Blockchain. „Eine Infrastruktur, die ohne zentrale Instanz auskommt, bietet eine Reihe von spannenden Möglichkeiten. Hier werden sich völlig neue Geschäftsmodelle herausbilden, die für viele Branchen – auch für uns als Versicherung – relevant sind.“ Dies bedeute aber nicht, so stellt Hablizel gleich darauf klar, dass ein zentraler Intermediär generell schlechter sei als eine zentrale Lösung: „Im Gegenteil. Manchmal ist es sogar gut, einen zentralen „Verwalter“ zu haben, der beispielsweise auch die Haftung übernimmt, wenn etwas schiefgeht.“ Dennoch ist der Ansatz von Blockchain, Daten dezentral auszutauschen und dabei sicher sein zu können, dass nichts verfälscht wird, ein sehr attraktiver Ansatz für vielerlei Anwendungsfälle.

Gerade Versicherungen hätten eine Reihe von Prozessen, bei denen Daten ausgetauscht werden müssten. Der Innovations-Manager der Munich Re nennt praktische Beispiele: „Wenn Sie etwa Ihre Kfz-Versicherung wechseln möchten, nehmen Sie in der Regel Ihre Schadenshistorie mit, um einen Schadenfreiheitsrabatt beim neuen Versicherer zu erhalten. Das bedeutet: Es findet ein Datenaustausch zwischen verschiedenen Versicherungsunternehmen statt. Mittels Blockchain würde das einfach, in hoher Qualität und ohne manuellen Aufwand möglich. Ähnliches gilt im Bereich der Betrugserkennung. Um zu prüfen, ob ein Versicherungsnehmer seinen Schaden nicht bei mehreren Versicherungen gleichzeitig geltend macht, haben Versicherungen ein zentrales Register. Dort werden größere Schäden gemeldet und abgeglichen. Auch das sei ein guter Anwendungsfall für Blockchain.“ Zwar seien diese Themen noch Zukunftsmusik, da der Aufwand für das gemeinsame Aufsetzen einer entsprechenden Infrastruktur noch als zu hoch angesehen werde. Es würde aber durchaus über solche Lösungen mehr und mehr nachgedacht.

 

Bitcoin, Blockchain, NFT: gekommen, um zu bleiben?

Wie schätzt der langjährige Blockchain-Experte Markus Hablizel die künftige Entwicklung der Technologien ein? Kann man sie aus seiner Sicht schon als etabliert bezeichnen? Oder ist es dafür noch zu früh? „Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, es ist noch unsicher, wie es mit diesen Themen weitergeht. Inzwischen bin ich der Meinung, dass man Bitcoin oder Krypto-Währungen allgemein nicht mehr einfach wegbekommt. Vor fünf bis sechs Jahren hätten Staaten noch die Chance gehabt, das Aufkommen dieser digitalen Zahlungsmittel zu regulieren. Inzwischen ist es dafür zu spät. Als Zahlungsmittel für den täglichen Bedarf wird der Bitcoin sicher nicht Einzug halten, da Blockchain sich nur für eine überschaubare Anzahl an Transaktionen eignet. Die hohe Rechenleistung, die Blockchain benötigt, ist derzeit ebenfalls ein kritisches Thema, weil sie mit hohem Energieaufwand verbunden ist. Für Bitcoin wird sich dies nicht mehr ändern, aber andere Blockchain-Plattformen arbeiten bereits an Alternativen. Insgesamt wird es sicher noch viele große Veränderungen geben, aber grundsätzlich bleiben diese Technologien bestimmt erhalten.“

Text: Sabine Haas

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