Wo anfangen? Wo aufhören? Wie zusammenführen? Das waren die drei Fragen, die mir nach meinen Recherchen zum Thema „Stadt der Zukunft“ in den Kopf schossen. Dann habe ich schnell entschieden: Es gibt keine allumfassenden und schon gar keine einfachen Antworten, kein Ende, kein echtes Prio-Setting. Vieles steckt in der Erprobungsphase, manches könnte nach ein paar Jahren schon wieder überholt sein. Aber so viel ist sicher: Daten werden in Zukunft eine herausragende Rolle bei der Gestaltung unserer Städte spielen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 nahezu 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Eine Entwicklung, die deutlich macht, dass wir unsere urbanen Lebensräume darauf vorbereiten müssen. Die Digitalisierung kann hierbei der Schlüssel sein, eine breite Datenbasis die Grundlage, um neue Technologien zielgerichtet im Sinne der Menschen und ihrer Stadt einzusetzen.
Immer noch werden viele Güter per Lkw in unsere Innenstädte befördert. Die Folgen sind neben unerwünschten Emissionen durch überwiegend noch mit Diesel betriebene Fahrzeuge ein erhöhter Lärmpegel, angespannte Parkplatzverhältnisse an großen Einkaufsstraßen und eine höhere Auslastung der innerstädtischen Fahrbahnen insgesamt. Damit sich das ändert, wird bereits an innovativen Ideen gearbeitet. Ein Beispiel hierfür ist das Konzept von Smart City Loop, eine Art unterirdisches Röhrennetz, das als „Bindeglied zwischen der Langstrecke und der Feinverteilung in der Innenstadt“ fungieren kann. Dabei soll es aber keineswegs nur um die Warenversorgung, sondern auch gleich um die Entsorgung etwa von Retouren, Verpackungsmaterial oder Leergut gehen. Klar ist: Eine solche logistische Leistung basiert auf Daten und Digitalisierung. Eine Erfolg versprechende Machbarkeitsstudie für die Stadt Hamburg wurde bereits durchgeführt.
Ein anderes Konzept für den Warentransport in unsere Städte setzt auf den Einsatz von E-Lkw. Das klingt zunächst wenig überraschend – sind strombetriebene Fahrzeuge doch gerade in aller Munde. Entscheidend ist hier aber, dass der Weg hin zur Stadt über eigens angelegte Oberleitungen geführt werden soll. Anders als bei E-Pkw wird also keine innerstädtische Infrastruktur an Ladestationen benötigt. Ein entsprechendes Zeitmanagement entfällt. Auch wenn die Konzepte derzeit noch als E-Autobahnen angelegt sind, ist es unter Umständen eine Überlegung wert, alle unsere Städte umschließenden Schnellstraßen mit einem solchen Oberleitungssystem auszustatten.
Eine dritte Perspektive, um die letzte Transportmeile abzudecken, fußt auf einem altbewährten Konzept: die Nutzung vom bestehenden Schienennetz der Straßenbahn. Was in Zürich bereits seit Anfang der 2000er-Jahre für die Sperrmüllentsorgung im Einsatz ist, könnte in Berlin für Logistikzwecke realisiert werden. Für die Installation und den Betrieb dieses Konzepts auf die aktuellen und sich laufend verändernden Bedürfnisse der Stadt abzustimmen, braucht es auch hier einer dauerhaft verlässliche Datenlage.
Dank Datenerhebung und -analyse gehen die Entwicklungen im Bereich Verkehrssteuerung inzwischen schon einen Schritt weiter in Richtung Praxis. Im dicht bewohnten Kölner Stadtteil Nippes etwa, wo insbesondere in den Abendstunden und Wochenendtagen eine äußerst angespannte Parkplatzsituation vorherrscht, wurde im vergangenen Jahr ein auf Echtzeitdaten basierendes Parkleitsystem eingerichtet. Auf diese Weise werden etwa 800 Stellplätze im Umfeld der größten Einkaufsstraße im Veedel erfasst. Mittels LED-Displays an Straßenlaternen leitet das „ParkPilot“-System die Autofahrer:innen auf schnellstem Wege zum nächsten freien Parkplatz. Damit entfällt das ziellose Herumfahren auf der Suche nach einem Stellplatz. Das spart Zeit, schützt die Umwelt – und auch die Nerven.
Was beim vorausgegangenen Beispiel im Kleinen wirkt, kann auch für die Steuerung von Verkehrsströmen in unseren Städten insgesamt realisiert werden. So hat sich beispielsweise die Stadt Wiesbaden für die Implementierung eines solch digital intelligenten Systems entschieden. Im ersten Schritt müssen hierfür alle Ampelanlagen umgerüstet und unterschiedliche Detektoren aufgestellt werden. Diese erfassen anonymisiert Daten zu Verkehrsaufkommen und Verkehrsteilnehmer:innen. Informationen über Veranstaltungen, den ÖPNV und Parkplätze werden auf diese Weise ebenfalls gesammelt. Mittels Simulation kann anschließend berechnet werden, wie sich die Verkehrssituation etwa durch veränderte Ampelschaltungen in Echtzeit verbessern lässt.
Smart gestaltete Verkehrsströme haben einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Vorteil: Sie helfen dabei, die Verkehrsteilnehmer:innen in den Städten besser zu schützen. Sogenannte kooperative Fahrzeugtechnologien (selbstfahrende Fahrzeuge) sollen die Folgen durch menschliche Fahrfehler und gefährliche Verhaltensweisen verringern. Ist der ÖPNV in der Stadt durch intelligent erhobene und ausgewertete Daten so gesteuert, dass die Nutzung des eigenen Pkw obsolet wird, unterstützt auch das die Sicherheit im Verkehr. Weniger Pkw bedeuten weniger Unfälle – insbesondere für die meist „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer:innen wie Fahrradfahrer:innen und Fußgänger:innen.
Intelligente Anwendungen könnten darüber hinaus in Zukunft den öffentlichen wie auch privaten Bereich besser schützen. Predictive Policing – also vorausschauende Polizeiarbeit – heißt das Ganze. Mithilfe von Daten sollen Verbrechen verhindert werden. Viele Anwendung sind hierzulande – und das sicherlich nicht zu Unrecht – umstritten. Bewährt hat sich aber bereits in NRW der Einsatz einer Software, die mittels Datenanalyse einschätzt, wo in naher Zukunft eine hohe Wahrscheinlichkeit für Einbrüche in Gebäuden oder Fahrzeugen gesehen wird. Dort können die Behörden dann entsprechend erhöhte Sicherheitsmaßnahmen anordnen. Spätestens nach der Pandemie dürften die derzeit in einem Rekordtief befindlichen Zahlen für Einbrüche wieder ansteigen und sich das System bewähren.
Seit der Pandemie kennen wir neben „Verkehr“ und „Kriminalität“ einen weiteren sicherheitsrelevanten Bereich, bei der intelligente Technologien erfolgreich zum Einsatz kommen könnten: Großgesundheitslagen. So hatte ein Unternehmen aus Kanada erklärt, dass es ihm möglich gewesen war, die von Corona ausgehende Gefahr schon früher als die offiziellen US-Behörden mithilfe von KI zu ermitteln. Um die mögliche Ausbreitung einer Pandemie zukünftig besser einschätzen zu können, machen intelligente Technologien also durchaus Sinn.
Was uns im städtischen Straßenverkehr nach Einsetzen der Dunkelheit schützt oder auch schlicht schön erscheint, gleicht umwelttechnisch betrachtet in vielen Städten einer kleinen Katastrophe. Die Rede ist von Lichtverschmutzung durch Wege- und Straßen-, Werbe- und Haltestellenbeleuchtungen oder auch Autoscheinwerfer. Sowohl wir Menschen, insbesondere aber die in der Stadt lebenden Tiere wie Insekten leiden darunter, dass es in unseren Metropolen niemals wirklich dunkel wird. Ein intelligenter und nachhaltiger Umgang mit künstlich geschaffener Helligkeit ist durch datengetriebene Steuerung möglich. Smart Lightning hilft dabei, dass künstliche Lichtquellen in ausreichender, aber nicht unnötiger Menge zur passenden Zeit am richtigen Ort erleuchten. Die Stadt Köln ist in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Energieversorger RheinEnergie und dem Unternehmen Signify inzwischen bereits so weit, dass einzelne Leuchten, Straßen, Stadtviertel oder die gesamte Beleuchtungsinfrastruktur gedimmt und flexibel gesteuert werden können. Das spart der Kommune in erster Linie Geld, schont gleichzeitig aber auch Umwelt und Fauna.
Von einem guten Lichtkonzept allein wird die Stadt der Zukunft natürlich noch nicht lebenswert. Auch die Luftverhältnisse müssen besser werden. Dass eine urbane Mobilität mit weniger CO2-Ausstößen einen guten Beitrag leisten wird, steht außer Frage. Aber auch hier können mittels Daten und deren Auswertung die Städte in Zukunft proaktiv ihre Luftqualität verbessern. Genau da setzt beispielsweise das Projekt CityTree an, bei dem es um eine Art Bioluftfilter für die Stadt geht. Das Konzept basiert auf einem baumartigen Holzgebilde mit smarter IoT-Technologie, in dem Moose wachsen. Die Moosflächen produzieren nicht nur Sauerstoff und reduzieren die Umgebungstemperatur, sie sind auch in der Lage, Feinstaub aus der Luft zu filtern. Mittels integrierter Sensorik werden die Moosversorgung gesteuert, die Wirksamkeit der CityTrees gemessen und Umweltdaten in Echtzeit übertragen.
Die vorausgegangenen trockenen Sommer haben bereits mancherorts gezeigt, wie prekär die Wasserversorgung in den Städten aufgrund der zunehmenden Klimakrise bei uns werden kann. Umso wichtiger wird es sein, mögliche Schäden an Leitungen oder Engpässe bei der urbanen Wasserversorgung mittels Datenanalyse frühzeitig zu eruieren, um angemessen darauf reagieren zu können. Singapur oder auch Valencia gelten beim Thema smartes Wassermanagement schon heute als Vorzeigestädte.
Was für den Bereich Wasser gilt, wird auch für die Energieversorgung in den Städten maßgeblich werden. Intelligente Stromnetze – sogenannte Smart Grids – sollen zukünftig mittels Datenmanagement dafür sorgen, den benötigten Energiebedarf in Echtzeit zu analysieren und per dezentral organisierter Plattform Stromerzeugung, -speicherung und -verbrauch optimal aufeinander abzustimmen. Voraussetzung hierfür ist die flächendeckende Einführung der Smart Meter.
Wenn große Versandhändler und Lieferdienste wissen, wann es für uns wieder Zeit werden dürfte, unsere nächste Bestellung Katzenfutter oder Getränke in Auftrag zu geben, warum sollte eine Stadt nicht in der Lage sein, proaktiv darauf aufmerksam zu machen, wann ein neuer Reisepass beantragt oder der Asphalt in einer Straße erneuert werden sollte? Je mehr Informationen – also Daten – gesammelt und analysiert werden, desto einfacher lassen sich solche Vorhersagen treffen und Maßnahmen daraus ableiten.
Gleiches gilt für den Bereich Maintenance, also die Instandhaltung öffentlicher Bauten und Anlagen. Eine gute Datenbasis kann passgenau darüber informieren, wann und wo eine Stadt ihren zeitnah Instandsetzungen an Gebäuden und Anpassungen an der bestehenden Infrastruktur vornehmen sollte. Diese Art von Predictive Governance ist damit keineswegs nur ein „nice to have“. Sie dürfte auch für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg von Städten von Bedeutung sein.
Sehr viele technologische Entwicklungen werden dazu beitragen, unsere Städte lebenswerter zu gestalten. Die Grundlage dafür liefern wie eingehend ausgeführt die Sammlung, Auswertung, Interpretation und kluge Verwendung von Datenmaterial. Genau hierin liegt aber auch die Herausforderung: Daten sind sensibel. Es bedarf neben dem Willen der Stadtbewohner, diese von sich preiszugeben, konkreter gesetzlicher Vorgaben und einer sicheren Infrastruktur zum Schutze derselben. Auch ein flächendeckendes, öffentlich zugängliches WLAN wird zur Grundvoraussetzung für Smart Cities. Genauso wie eine unangreifbare Stromversorgung.
Daten sollten jedoch mitnichten zum neuen Öl avancieren (darüber haben bekanntlich nur einige wenige eine Hoheit), aber ganz sicher zu einer Art Schmierstoff für die Stadt der Zukunft werden. Im Grunde braucht es aus meiner Sicht hierfür für jede Stadt einen klugen Kopf, der die Thematik von einer Metaebene aus betrachtet, in einzelne Bereiche zerlegt und anschließend Aufgabenpakete schnürt.
Wer sich nun für einen Moment der Vision einer intelligenten Stadt der Zukunft auf der Basis von Daten hingeben möchte, dem sei dieses Video der Toyota Woven City empfohlen. Was hier bislang nur in einer atmosphärischen 3-D-Animation bestaunt werden kann, wird gerade am Fuße des Mount Fuji nahe Tokio als Prototyp von keinem geringerem als dem preisgekrönten dänischen Architekt:innen-Team um Bjarke Ingels umgesetzt.
Text: Alexa Brandt
Am beliebtesten