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Ist Digitalisierung Chefsache?

Immer mehr Unternehmen führen die Position des CDO, des Chief Digital Officer ein. Mit dem CDO ist die digitale Transformationskompetenz in einer Person gebündelt, idealerweise als Teil der Geschäftsführung. Kritiker des CDO-Ansatzes sagen, Digitalisierung passe nicht in eine Rolle, sie gehe alle und jeden an. Mark Klein, CDO bei ERGO sagt: „Das kann ich nur unterstreichen.“ Aber der Weg zu Beginn einer Transformation sei ein ziemlicher Kraftakt, deshalb sei die gebündelte Kompetenz wichtig. „Ich bin weniger der digitale Chefstratege, sondern Digitalunternehmer, Transformierender und Kultusminister – in einer Person.“

 

„Versicherungsscheinnummer“ ist ein Wort mit 25 Buchstaben. Ein typischer Versicherungsbegriff, den ein User Experience Designer in unserer Digital Factory von allein wohl nicht in den Mund nehmen würde. Aber wir haben genau diese 25 Buchstaben zum Thema gemacht. Bei einem Webservice, den wir für unsere Kunden entwickelt haben, wurde die Versicherungsscheinnummer das entscheidende Element zur Identifizierung. Die Kundenfeedbacks, die wir nach jedem Sprint eingesammelt haben, waren eindeutig: unsere Kunden wollen Sicherheit beim Anmelden und das Wort mit den 25 Buchstaben steht für Sicherheit.

Ich nerve meine Leute immer wieder mit der gleichen Frage: Waren Kunden in den Entwicklungsprozess ausreichend eingebunden? Einmal abfragen, reicht nicht, der Kunde muss von Anfang bis Ende dabei sein. Und damit ist schon ein wichtiger Baustein von Digitalisierung beschrieben: neue Lösungen nah am Kunden entwickeln, Customer Centricity und Service-Orientierung bei allen digitalen Angeboten.

 

Digitalunternehmer

Einfach mal digitalisieren – das macht keinen Sinn. Es braucht ein klares Ziel, einen Sinn, warum und wofür Technologie eigesetzt werden soll. Mehr Kundenfokus und mehr Kundennutzen, ist so ein Ziel.  Aus diesem Blickwinkel probieren wir bei ERGO immer wieder neue Technologien in sehr frühen Entwicklungsstadien aus.

Welche Auswirkungen hat eine Technologie auf unser Geschäftsmodell, kann es Versicherungen besser machen, sind vollkommen neue Geschäftsmodelle möglich oder könnte es einzelne Versicherungsangebote gar obsolet machen? Diese Fragen stellen wir uns andauernd. Hinterfragen, einordnen, ausprobieren – das ist elementares CDO-Geschäft.

Aber das allein würde uns zu einer reinen Denkfabrik machen. Das sind wir nicht, wir sind eine Macherfabrik. Unsere digitalen Investments bauen wir auf drei Säulen auf: unser traditionelles Geschäftsmodell durch digitale Technologien kundenfreundlicher machen; Versicherung an die Grenzen dessen bringen, was digital möglich ist – und gänzlich neue Geschäftsmodelle entwickeln.

Kundenfreundlicher meint zum Beispiel, dass wir End-to-end digitalisieren. Wir wollen also nicht nur das mobile Dashboard haben, mit dem Kunden sehen können, wie weit die Schadenbearbeitung ist. Unser digitaler Prozess startet sofort, wenn es knallt, direkt wenn der Schaden beim Autounfall entsteht. Über eine mobile Website Schadenfotos hochladen, Werkstatttermin vereinbaren, Ersatzwagen – alles aus einer Hand.  

An die Grenzen des technologisch Machbaren gehen wir mit unserem digitalen Versicherer nexible. Versicherung komplett auf dem Smartphone portabel machen, darum geht es. Keine Offline-Kommunikation mehr (sondern via Chatbot „Tom“), kein Papier, keine Police im Aktenordner. Technologisch setzen wir das um, was möglich ist. Wir nutzen Voice, also Sprachsteuerung am Telefon, Künstliche Intelligenz und Robotics.

Mit unserem Investment in Ökosysteme bauen wir neue Geschäftsmodelle mit auf, die auf das klassische Versicherungsmodell disruptiv wirken können. In einem Mobilitäts-Ökosystem kaufen Kunden nicht erst ein Auto und dann die Versicherung, sie kaufen das Auto und die Versicherung ist Teil des Gesamtproduktes. Oder sie kaufen gar kein Auto mehr, sondern wechseln beim Händler vom Stadtflitzer zum Minibus und zwischendurch mal zum Cabrio, wie es gerade gebraucht wird. Oder sie sind multimodal mobil, nutzen verschiedene Verkehrsmittel, wechseln hin und her, ganz nach dem persönlichen Bedarf. Die Versicherung springt flexibel mit.

Das Hinterfragen ist in all diesen Säulen Standardhandwerk. Wir bauen keine fertigen Produkte, wo ein Teil ins andere passt. Sondern wir entwickeln neue Lösungen. Es liegt auf der Hand, dass der erste Prototyp meist noch weit entfernt ist von der finalen Lösung.

 

Transformierender

Macht sich ein CDO selbst überflüssig, wenn er gut gearbeitet hat? Die klare Antwort lautet: JA! Transformieren heißt ja, einen Zustand A in einen Zustand B zu überführen. Ist man bei B, ist das Ziel erreicht.

Zwar ist Digitalisierung – oder nennen wir es Technologisierung – ein fortwährender Prozess, der nie abgeschlossen ist. Dennoch gibt es kaum ein schöneres Gefühl, als digitalisierte Prozesse an die klassischen Fachabteilungen der ERGO weiterzugeben oder diese zu befähigen, es gleich selbst zu machen! Es zu schaffen, dass jeder Digitalisierung versteht, denkt und treibt, das macht den CDO als Rolle und als Motor der Transformation überflüssig.

Deshalb möchte ich bei uns kein ihr oder wir sehen, Silodenken ist verboten, der Tod der Digitalisierung. Auch das Not-invented-here-Syndrom macht uns manchmal zu schaffen. Wir digitalisieren gemeinsam, die Fachabteilung sitzt sofort mit im Programmierraum. Digitalisierung nur überzustülpen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Kollegen:innen der Fachabteilungen sollen sich mit dem Neuen sofort identifizieren können.

Zu meinem Jobprofil gehört auch Geduld, Verstehen, Kompromisse finden und vor allem Lernen. Wenn agile Methoden der Technologiebranche auf 170 Jahre erfolgreiche Versicherungstradition treffen, dann sind Reibungspunkte programmiert. Wir bauen unsere Digitalanwendungen nicht auf der grünen Wiese, sondern implementieren sie in eine gewachsene Prozesslandschaft.

Aber auch das ist Bestandteil meiner Arbeit, das Mögliche auszureizen, ohne unrealistische Traumwelten zu bauen. Ich lerne jeden Tag und kann inzwischen vielfach beweisen, dass die besten Lösungen gerade dann entstehen, wenn man die Köpfe zusammensteckt – und es dabei auch mal ordentlich zur Sache geht.

 

Kultusminister

Wie wir miteinander arbeiten – ist meiner Auffassung nach der wichtigste Teil von Transformation. Ich muss nicht alles freigeben. Proofed by CDO ist bei mir keine Kategorie, Proofed bei Verantwortlichkeit trifft es besser. Das Team, das an einem Produkt arbeitet, trägt die Verantwortung. Ownership ist mir wichtig. Mein Beitrag dazu ist, nicht immer die letzte Instanz zu sein, sondern den Leuten das Vertrauen (und die Verantwortung) sowie die benötigten Werkzeuge zu geben.

Ich sehe meine Verantwortung darin, Impulse zu geben, White Spots zu erkennen und offenzulegen, Hürden abzubauen, Probleme wegzuschaffen und alternative Wege aufzuzeigen. Und ich bin so etwas wie ein Kultusminister. Digitalisierung scheitert eigentlich nie an der Technik. Die macht inzwischen fast alles möglich, bietet ungeahnte Möglichkeiten. Gründe, warum es nicht funktioniert, sind sehr häufig kultureller Natur.

Ist Digitalisierung sinnvoll oder bloß teuer, ohne dass es einen echten Mehrwert schafft? Das höre ich gerade unter Managerkolleg:innen häufig. Aber natürlich sind auch wir Manager nur Menschen und beschäftigen uns selbstverständlich auch mit dem (manchmal gewöhnungsbedürftigen) Gedanken, Kontrolle an die Technik abzugeben.

Einige Mitarbeiter:innen wiederum fürchten Technologien, manche haben schlichtweg Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Digitalisierung aber bietet neue, sinnvolle Chancen für Kreativität und Expansion, schafft interessantere Berufsfelder und macht Arbeit menschlicher. Das beweisen unsere inzwischen über 60 Process Automation Roboter eindrucksvoll. Sie übernehmen lästige Tipparbeiten, Mitarbeiter:innen haben so mehr Zeit für den Kundenkontakt.

Entscheidend ist Kommunikation! Seit vier Jahren veranstalte ich alle drei Wochen den Digital Morning. Bis zu 500 Mitarbeiter:innen nehmen regelmäßig an dem Format teil. 15 Minuten Impulsvortrag, 30 Minuten Diskussion. Manchmal bräuchten wir eine ganze Stunde zum Diskutieren, so viele Nachfragen gibt es. Diese Events mag ich. Denn sie zeigen, dass sich die Kolleg:innen mit dem Thema auseinandersetzen und sich für Digitalisierung interessieren.

Es bleibt viel zu tun! Aber auch wenn Transformation manchmal anstrengend ist, macht es wahnsinnig viel Spaß, die Zukunft zu gestalten.

Text: Mark Klein

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