„Wir sind ständig auf der Suche nach neuen relevanten Trends“


Interview zum Tech Trend Radar 2022

Digitalisierung & Technologie, 01.09.2022

44 Trends in fünf Trendfeldern, fast 100 Seiten Umfang: Auch hinter der diesjährigen Ausgabe des „Tech Trend Radar“ steckt wieder jede Menge Arbeit. Sowohl bei Munich Re als auch bei ERGO. Doch wie entsteht es überhaupt? Wer wirkt alles mit? Und inwieweit trägt die inzwischen neunte Ausgabe dieser jährlich erhobenen Studie dazu bei, unser Bild von der digitalen Versicherung der Zukunft immer weiter zu verdichten? Die beiden Projektleiter Martin Thormählen von Munich Re und Daniel Grothues von ERGO nehmen uns mit hinter die Kulissen dieses hochkomplexen Projekts.

Leiten das Projektteam hinter dem gemeinsamen „Tech Trend Radar“: Martin Thormählen von Munich Re (links) und Daniel Grothues von ERGO

Leiten das Projektteam hinter dem gemeinsamen „Tech Trend Radar“: Martin Thormählen von Munich Re (links) und Daniel Grothues von ERGO

Herr Thormählen, Herr Grothues, Glückwunsch zum aktuellen „Tech Trend Radar“! Wie lange waren Sie und Ihre jeweiligen Team-Kolleginnen und -Kollegen bei Munich Re und ERGO mit der aktuellen Ausgabe beschäftigt? Und wer wirkt eigentlich alles mit bei diesem Projekt?

Martin Thormählen: Vielen Dank! Eigentlich sind wir permanent auf der Suche nach den neuen relevanten Trends. Wir haben aber auch immer eine besonders heiße Phase der Analyse und Aufbereitung jeweils im Winter und im Frühjahr. Die Kollegen aus unserem Projektteam bei Munich Re, ERGO, dem Institute of Electronic Business aus Berlin und ADL Consulting arbeiten jeweils nur Teilzeit an dem Thema. 

Das „Tech Trend Radar“ erscheint nun schon seit 2013. Ist der Erstellungsprozess inzwischen standardisiert? Gibt es Effizienzgewinne durch die Erfahrungen mit früheren Ausgaben? Welche Änderungen brachte die Pandemie – und wie dürfte es künftig weitergehen?

Daniel Grothues: Wir haben einen stabilen Prozess etabliert, den wir jedes Jahr weiter im Detail verbessern. Vor der Pandemie wurde viel in gemeinsamen Workshops erarbeitet. In der Pandemie hat es aber auch remote gut funktioniert, und aktuell arbeiten wir hybrid. Einen klassischen Startschuss gibt es nicht. Wir sind alle technologieinteressiert und sammeln das ganze Jahr über Anregungen. Dazu gibt es natürlich regelmäßig angezapfte Quellen, Studien, etc. Dazu gehören auch Konferenzen wie das Gartner Symposium. Im jeweils vierten Quartal eines jeden Jahres folgen dann eine strukturierte Bewertung, Selektion und Aufbereitung der Trends und praktischer Use Cases ...

Könnten Sie uns am Beispiel eines der 44 Trends Schritt für Schritt mitnehmen durch den Entstehungsprozess? Wie genau wird ein Trend vom Projektteam identifiziert, analysiert, klassifiziert und aufbereitet, so dass er Einzug hält ins „Tech Trend Radar“? 

Daniel Grothues: In diesem Jahr neu aufgeführt ist das Metaverse. Als Buzzword kennen wir das schon länger, und bei ERGO haben wir sogar schon eigene Erfahrungen damit gemacht. Aber wir schauen im nächsten Schritt, ob es genug Evidenz gibt, dass es nicht nur ein Hype ist, der schnell wieder verklingt. Außerdem ist der Trend nur für uns relevant, wenn es einen konkreten Bezug zum Versicherungsgeschäft gibt. 

Beim Metaverse haben wir jetzt beides gesehen: Große Internetfirmen wie Meta und Apple investieren Milliarden in Hard- und Software und es gibt erste Meta-Versen, die man besuchen kann. Die Vision der Macher ist, dass die Menschen zukünftig einen Teil ihres Lebens in solchen virtuellen Welten verbringen werden und natürlich dort gut angesehen sein wollen. Das heißt:  Es wird digitale Wertgegenstände und Statussymbole geben, etwa Grundstücke, Häuser & Kleidung, für die auch Risiken existieren. Wenn das so kommt, werden die Nutzer diese Risiken absichern wollen, brauchen also „Metaverse-Versicherungen“. Aktuell sind das aber Versprechen auf die Zukunft, weshalb wir empfehlen, das Thema zu beobachten und noch keine großen Investitionen zu tätigen.

„Es ist völlig klar, dass sich das Geschäftsmodell der (Rück-)Versicherung weiter digitalisieren wird. Wir haben erst einen Teil der Strecke hinter uns.“

Martin Thormählen, Munich Re

Und wie profitieren unsere Kunden von diesen Erkenntnissen? Hätten Sie Beispiele, wie Firmenkunden das „Tech Trend Radar“ einsetzen?

Martin Thormählen: Zunächst wollen wir für die interne Digitalisierung und strategische Weiterentwicklung von Munich Re und ERGO Inspiration und Anregungen geben. Davon profitieren unseren Kunden dann mittelbar. Bei der Munich RE diskutieren wir die Trends auch mit interessierten Vorständen, den Produktentwicklern sowie Underwritern unserer Erstversicherungskunden und sind Sprecher auf Konferenzen. Hier inspirieren wir die Teilnehmer und erklären auch unsere konkrete Lösungen, die wir mittlerweile entwickelt haben – „from trends to solutions“ also.

Eine Verständnisfrage bzw. eine Nachfrage zur richtigen Lesart der Studie: Der Trend „Digital Curriences“ etwa im Trendfeld „Cyber & Crypto“ kam in diesem Jahr neu hinzu – und zwar aufgrund seiner Bedeutung direkt mit der Empfehlung „Assess“. Dabei hat die Munich Re Gruppe das Thema doch schon deutlich länger im Visier...

Martin Thormählen: Absolut. Für die grundlegende Blockchain-Technologie gibt es neben dem Bitcoin viele interessante Anwendungsfälle, das habt Ihr ja auch auf //next dargestellt. Der Bitcoin ist aber aus unserer Sicht keine gute Währung für die Nutzung bei Versicherungen, da er vor allem Spekulationsobjekt und extrem volatil ist. Inzwischen gibt es aber vielversprechende Ansätze, unter anderem von Zentralbanken, die die Vorteile einer digitalen Währung mit der Stabilität und Zuverlässigkeit einer Realwährung kombinieren sollen. Insgesamt ist die Munich Re Gruppe daher sehr vorsichtig in der Bewertung der Versicherbarkeit dieser neuen Technologien.

Haben Sie Favoriten unter Trends? Gibt es Trends, die Sie in diesem Jahr überrascht haben? Und bei welchen sind Sie besonders gespannt, wie sie sich in den nächsten Jahren – und Studien-Ausgaben – weiterentwickeln?

Daniel Grothues: Aktuell spannend sind die diversen Trends im Bereich Data & AI, allen voran die Machine Driven Decisions. Wir sehen zunehmend bei uns intern und am Markt, dass sich wiederkehrende Entscheidungen, für die es eine gute Datengrundlage gibt, sehr gut mit maschinellem Lernen automatisieren lassen.

Wir sind natürlich besonders gespannt auf die Entwicklung der Themen, die noch etwas weiter von der Anwendung entfernt sind – die aber gleichzeitig großes Potenzial haben, wirklich disruptive Änderungen auszulösen.

Quantum Computing ist hier auf jeden Fall zu nennen. Es hat sich von der Vision schon bis zu ersten praktisch gebauten Computern entwickelt. Aber noch werden sie für begrenzte Spezialthemen eingesetzt und erfordern sehr viel technisches Spezialwissen. Wir erwarten, dass es den großen Cloud-Playern Amazon, Google und Microsoft gelingen wird, die Technologie in ihren Rechenzentren massentauglich zu machen und die Nutzer sich nur noch um das eigentlich zu lösende Problem kümmern müssen. Wenn das passiert, haben wir immense Rechenleistung und komplett neue Funktionsprinzipien zur Verfügung, die ganz neue Anwendungen erlauben werden, etwa bei der Optimierung von Routen, Produktionsabläufen etc. und eben auch bei der Modellierung von Risiken.

Inwiefern trägt die neunte Ausgabe des „Tech Trend Radar“ dazu bei, unser Bild vom Rück- und Erstversicherungsgeschäft der Zukunft zu verdichten? Anders gefragt: Was verrät die neunte Ausgabe schon heute darüber, wie die Munich Re Gruppe mittelfristig und langfristig wirtschaften könnte?

Martin Thormählen: Es ist völlig klar, dass sich das Geschäftsmodell der (Rück-)Versicherung weiter digitalisieren wird. Wir haben erst einen Teil der Strecke hinter uns. Machine Learning/ AI und die Verarbeitung von Sprache (NLP) werden noch mehr Automatisierung von Standardprozessen oder –schritten ermöglichen, und damit können sich unsere Mitarbeiter in allen Bereichen von Aktuariat über Vertrieb bis Operations und IT auf die Beratung, den persönlichen Kundenkontakt und die komplexen Probleme fokussieren.

Wir werden erleben, wie wir immer mehr vernetzt sind mit den Geschäftsprozessen unserer Kunden und Partner. Das bringt neue Chancen aber auch Druck auf Margen und die Notwendigkeit, immer effizienter zu werden!

Das Interview führte Ingo Schenk 

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