Das ewige Leben gehörte schon immer zu den Sehnsüchten der Menschheit. Mittels moderner Technologien kommen wir der Erfüllung dieses Traums immer näher. Schon jetzt lassen sich lebensechte Hologramme verstorbener Angehöriger erstellen, und Dienstleister bieten digitale Zeitkapseln und Dialoge mit Verstorbenen mittels KI an. Alexa Brandt hat sich damit beschäftigt, was bereits möglich ist, woran geforscht wird – und sie hat sich die Frage gestellt, ob das ewige digitale Leben überhaupt erstrebenswert ist.
Beim Eintauchen in die Recherche zu diesem Artikel klingt ein 80er-Ohrwurm in meinen Kopf: „Forever young“ von AlphaVille. Im Liedtext feiert der Sänger die Jugend, stellt aber auch die Frage: „Do you really want to live forever?“ Die Sache mit dem ewigen Leben treibt uns seit Menschengedenken um, wohl wissend, dass diese Option nicht besteht und es sich um ein Gedankenexperiment handelt. Oder...? Oder? Nimmt die Digitalisierung es am Ende sogar mit dem Tod auf?
Die Filmindustrie beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema. So etwa in der Amazon-Serie „Upload“. Die spielt im Jahr 2033. Den darin agierenden Menschen ist es möglich, sich in ihr selbstgewähltes Leben nach dem Tod hochladen zu lassen. Bei der Story handelt es sich zwar um einen Kriminalfall. Sie thematisiert aber auch den Wunsch, die eigene Persönlichkeit über den Tod hinaus zu ermöglichen.
Ein weiteres Beispiel findet sich in einer Folge der Netflix-Serie „Black Mirror“. Darin entwickelt eine Frau nach dem Tod ihres Freundes eine künstliche Intelligenz, um seine Persönlichkeit und Stimme zu simulieren. Die KI ersetzt den verlorenen Liebsten schließlich nicht. Stattdessen erinnert sie die Protagonistin konstant an ihren Verlust und die dadurch ausgelöste Trauer.
Digitales Weiterleben thematisiert auch der 2013 erschienene Kinofilm „Her“ mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle. Der frisch getrennte, scheue Theodor geht darin eine Liebesbeziehung mit einem per KI-lernfähigen Betriebssystem seines Rechners ein. Und „Samantha“ lernt schnell, menschelt, lehrt Theodor, seine Gefühle besser zu verstehen und diese zu äußern. Am Ende ist die erschaffene Ersatzperson jedoch nicht in der Lage, die Persönlichkeit der Exfrau in digitaler Form so weiterleben zu lassen, dass sie diese wirklich ersetzen könnte.
Nicht nur im Filmgeschäft, auch bei Musikstars ist das Thema angekommen. Da wäre der US-amerikanische Rapper Kayne West. Der ließ seiner Frau Kim Kardashian zu ihrem Geburtstag ganz besondere Grüße zukommen. In Form eines lebensechten Hologramms ihres verblichenen Vaters. 2017 ging die Rockband Black Sabbath mit dem Hologramm des toten Frontsängers Ronnie James Dio auf Welttournee. Auch die schwedische Band ABBA – wenngleich alle vier Bandmitglieder noch leben – ließ sich als Avatare in digitaler Umgebung verewigen. Die Frage, ob die über 70-jährigen Pop-Legenden in Zukunft ein weiteres Album herausbringen würden, beantworteten die Bandmitglieder, dass dies unwahrscheinlich sei. Höchstens in einem zweiten Leben könne es passieren. Ihre digitalen Versionen würden ja weiterleben. Dieses Beispiel lässt erahnen, was nach dem Ableben der Bandmitglieder für die Rechteinhaber ihrer Musik durch eine „digitale Auferstehung“ möglich werden könnte.
Weniger aufwändig oder spektakulär, die eigene Persönlichkeit über den Tod hinaus „wirkend“ zu halten, sind sogenannte digitale Zeitkapseln. Darin werden digital vorliegende Erinnerungen wie Fotos oder Videos der Person strukturiert gesammelt und bleiben den Hinterbliebenen, Freunden, der Nachwelt „auf ewig“ erhalten. Im Netz finden sich unzählige Anbieter hierfür.
Einen Schritt weiter geht „Here after“. Mittels KI wird hier das Thema Zeitkapsel ergänzt: Kommunikation mit der/dem Verstorbenen. Wer das Angebot nutzen will, muss dies schon zu Lebzeiten tun. So weit, so kostenfrei. Wer möchte, dass die Hinterbliebenen später mit einer digitalen Version des verstorbenen Ichs einen Dialog führen können, wird zur Kasse gebeten.
Anders sieht es aus, wenn die Initiative, einen Menschen digital wiederauferstehen oder weiterleben zu lassen, von Dritten initiiert wird, ohne dass die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. In diesem Fall müssen ethische Fragen nach dem Wie und wie weit darf man dabei gehen, gestattet sein. Wer also über den Tod hinaus die Kontrolle über seine digital verstreute Asche behalten will, sollte vorsorgen. Das gilt zum einen für digitale Spuren im Netz, etwa in Social Media.
Wenn die Technik zunehmend ausgereifter wird, müssen wir uns langfristig mit einem weiteren Aspekt auseinandersetzen. Damit, was mit den Informationen über die eigene Person postmortal in digitaler Hinsicht geschehen darf. Das wird zunehmend wichtig, um Missbrauch auszuschließen. Wer kann schon sagen, ob die Worte vom väterlichen Double aus Daten und Bits im Fall Kardashian von ihm selbst so geäußert worden wären? Die ihm in den Mund gelegten Worte stehen jetzt aber im Raum. Sie konstruieren eine Wirklichkeit, deren Wahrheitsgehalt hinterfragt werden darf. Persönliche Geschichten werden geschrieben und weitergetragen an die nächste Generation.
Bereits 2014 beschäftigte sich Martine Rothblatt, Gründerin und CEO eines Biotechnologieunternehmen, in ihrem Buch „Virtually Human: The Promise – and the Peril – of Digital Immortality“ mit den Vor- und Nachteilen digitaler Unsterblichkeit. Für sie stand fest, dass die Persönlichkeit und das Bewusstsein von Menschen in der Zukunft in digitale Avatare überführt werden könnten. Diese durch Software und computergestützte Technologien simulierten Cybergehirne würden dabei nicht nur einen individuellen Nutzen haben. Sie könnten auch für die Verbesserung der menschlichen Existenz im Allgemeinen bedeutsam werden. Rothblatt warnte zugleich vor den möglichen Risiken und Herausforderungen. Gemeint sind ethische und soziale Auswirkungen, die mit der Einführung von digitaler Immortalität einhergehen könnten. Ihr erstes Modell von einem virtuellen Menschen realisierte sie schließlich gemeinsam mit dem Roboticisten David Hanson: BINA48 basiert auf der Vorlage von Martine Rothblatts Frau Bina.
Der Neurowissenschaftler und Neuroingenieur Randal A. Koene ist ein Verfechter der Idee, dass wir irgendwann Gehirne digitalisieren können. Damit würde unser Geist unabhängig von unseren Körpern. Für Koene geht es dabei weniger um das digitale Weiterleben nach dem Tod. Es ist aber auch ein Schritt in diese Richtung. Mit dem Upload würde die bisher diskutierte Rekonstruktion einer Persönlichkeit auf der Grundlage von digitalen Daten um die Einzigartigkeit seines Gehirns ergänzt. Derartige Ideen von „mind uploading“ klingen zugegebenermaßen zum jetzigen Zeitpunkt noch außerordentlich „mind blowing“.
Menschenähnliche Roboterwesen zu schaffen, ist seit Jahren Fokus der Arbeit des japanischen Robotik-Ingenieurs Hiroshi Ishiguro. Seine Androiden mögen äußerlich detailgetreue Abbilder sein, die mithilfe künstlicher Intelligenz wesensähnliches Verhalten mimen. Was uns Menschen aber so einzigartig macht, ist unser Bewusstsein. Diesem versuchen Forscher mittels digitaler Technologie und KI-Anwendungen ebenfalls auf die Spur zu kommen. Und das nicht erst seit gestern. Genau hier setzt die Arbeit vom interdisziplinären und seit 2013 durch die EU geförderten Human Brain Project (HBP) an. Dort arbeiten zahlreiche Neurowissenschaftler, Informatiker, Ingenieure und Mathematiker daran, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu dekodieren. Die gewonnen Erkenntnisse könnten Hinweise liefern, wie das menschliche Gehirn dann irgendwann tatsächlich digital simuliert werden kann, um Wahrnehmung, Denkprozesse oder auch Emotionen eigenständig steuern zu können.
Zurück zu dem, was bereits möglich ist: Hologramme und Avatare. Hier könnte der nächste Schritt, Menschen noch realistischer „auferstehen“ zu lassen, darin bestehen, die digitalen Abbilder haptisch greifbar zu machen. Bisher gibt es das noch nicht. Und nicht jede Idee verfängt für die Zukunft.
Für mich stellt sich zudem die Frage: Sollten wir das überhaupt anstreben? Wäre es nicht sinnvoll, statt weitere physische Produkte aus wertvollen Rohstoffen zu schaffen, mit den digitalen Abbildern in digitalen Umgebungen zu bleiben? Und stattdessen haptische Feedback-Systeme zu kreieren, die das Gefühl vermitteln, einen digitalen Avatar berühren zu können bzw. von ihm berührt zu werden? Um diese Signale zu erzeugen, ließe sich auf die Verwendung von Vibration, Luftdruck oder Schwingung elektromagnetischer Felder zurückgreifen. Wer weiß, vielleicht arbeitet gerade schon irgendwo auf der Welt jemand genau an dieser Idee…
Spätestens dann, wenn wir durch digitale Kopien verstorbene Menschen weiterleben lassen, gilt es einige rechtliche Dinge zu regeln. Und wo Recht ist, gibt es immer auch Unrecht. Oder im schlechtesten Fall kriminelle Energie. Gegen beides können sich Menschen bekanntlich durch Versicherungen schützen. Dazu müsste ein Konsens gefunden werden. Darüber, welche Rechte und Pflichten auf die digitale Kopie des Menschen übergehen. Welche Rechte und Pflichten gelten, wenn künstliche Intelligenz gut angelernt selbstständig und selbsttätig agiert, wie im Filmklassiker „Westworld – The Ultimate Resort“ aus dem Jahr 1973 eindrucksvoll dargestellt. Der Film thematisierte bereits damals das wichtige Thema „Vertrauen und KI“.
Sollten die Ideen, die es bereits heute gibt und die da noch kommen könnten, in der breiteren Masse ihre Interessenten finden, dürfte auf lange Sicht eine gewisse Form von ewigem Leben gar nicht mehr so surreal anmuten. Aber wenn schon ewig leben, dann wenigstens „forever young“. Oder?
Text: Alexa Brandt
Digitaler Nachlass: Was passiert nach dem Tod mit meinen Daten? https://www.ergo.de/de/Ratgeber/todesfall/digitaler-nachlass
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