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Smart Factory – die Industrie der Zukunft 

Immer neue digitale Revolutionen verändern unser Leben. Während wir Smartphones und Smartwatches in unseren Alltag integriert haben und die ersten Smart Cars über die Straßen rollen, ist längst auch die Industrie in den nächsten Zyklus der Modernisierung eingetreten. Das Konzept der Smart Factory soll als Kernstück einer Industrie 4.0 die gesamte Wertschöpfungskette in einem vorher nie gekannten Maß auf Effizienz und Flexibilität trimmen. Werden wir künftig Möbel und Autos im Internet bei einer künstlichen Intelligenz bestellen und nach Maß fertigen lassen?

Das Konzept der Smart Factory wird oft im Zusammenhang mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“ genannt. Dieser Begriff stammt aus der Hightech-Strategie der Bundesregierung und ist daher vor allem in Deutschland gebräuchlich; international spricht man auch vom „Industrial Internet of Things (IIOT)“. Gemeint ist die Vorstellung, dass die Industrie gerade ein neues Entwicklungsstadium erreiche: Auf Grundlage der Möglichkeiten der Digitalisierung werde sich der Produktionsprozess künftig in gewisser Weise selbst organisieren. 

Smart Factory und Industrie 4.0

In dieser Vision steuern nicht mehr menschliche Produktionsleiter und Maschinenbediener die Herstellungsabläufe. Alle technischen Systeme in den Fabriken sind digitalisiert und miteinander vernetzt. Sie verfügen über Sensoren zur Orientierung und können anstehende Entscheidungen im Produktionsablauf selbst treffen und umsetzen. Wenn dann auch die Logistik, also die Anlieferung und Bereitstellung von Werkstoffen und Vorprodukten, in ähnlicher Weise „intelligent“ und autonom organisiert ist, entstehen völlig neue industrielle Abläufe: Irgendwann könnte der Kunde im Internet einfach ein Produkt nach seinen Bedürfnissen gestalten und bestellen – und ohne Zutun irgendeines Menschen nimmt ein intelligentes System die Bestellung auf, plant die Herstellung, besorgt sich die Werkstoffe, beauftragt Maschinen mit der Produktion und stellt schließlich dem Kunden ein Produkt zu, das eigens für ihn und nach seinen Maßgaben angefertigt wurde. Dies ist die Vision – sie käme wohl einer neuen industriellen Revolution gleich.

Im Zentrum dieser Revolution steht die intelligente Fabrik – die Smart Factory. Über das Stadium visionärer Fantasie ist das Konzept schon hinaus: Es gibt erste Produktionsstandorte, die als Smart Factory organisiert sind.


Wie funktioniert eine Smart Factory?

Die Smart Factory schlechthin gibt es nicht. Je nach Branche und Produkt, je nach technischem Entwicklungsstand und finanziellen Möglichkeiten sind viele verschiedene Formen der intelligenten Fabrik denkbar. Auch die Frage, wie viel menschliche Kontrolle man über die Abläufe behalten möchte, führt zu unterschiedlichen Ansätzen. Gemeinsam sind den unterschiedlichen Konzepten aber einige Grundprinzipien. 

Digitale Vernetzung und Digitale Zwillinge

Wenn die verschiedenen Anlagen im Produktionsprozess – wie Werkzeugmaschinen, Roboter, Transportelemente und ähnliches – selbständig zusammenarbeiten sollen, müssen sie digital vernetzt werden, um miteinander kommunizieren zu können. Das geschieht über gewöhnliche Datennetze, über WLAN, Bluetooth oder auch über RFID-Chips: Werkstücke können mit einem Chip versehen werden, der alle Informationen über sie enthält – Maschinen lesen den Chip aus und erfahren so, was sie tun sollen. Auch QR-Codes können zu diesem Zweck genutzt werden.

Aber auch miteinander verbundene Roboter und Werkzeugmaschinen können noch nicht autonom agieren. Dazu brauchen sie eine Art digitales Bewusstsein – eine Instanz, die alle Informationen über ihre jeweiligen Fähigkeiten, ihren Zustand, ihre zeitliche Verfügbarkeit und ähnliches besitzt – und die in der Lage ist, sich mit anderen solchen Instanzen auszutauschen. Eine solche Instanz wird als Digitaler Zwilling bezeichnet. Jedes Objekt in einer Smart Factory – jede Maschine, jedes Werkzeug und jedes herzustellende Produkt – hat ein digitales Abbild seiner selbst im IT-System. Diese Digitalen Zwillinge kommunizieren softwaregesteuert miteinander. So können die Zwillinge von Maschinen bei Vorliegen eines neuen Auftrags z.B. untereinander abstimmen, welche Maschine wann für welche Aufgaben verfügbar ist und welche Werkstoffe wo vorhanden sind. Das System spielt verschiedene Organisationsvarianten durch und kann so einen optimalen Plan für die Produktion erstellen. Erst danach werden die echten Maschinen aktiviert und die Produktion beginnt. Der digitale Zwilling des herzustellenden Produkts könnte Informationen darüber enthalten, was hergestellt werden soll, in welchem Produktionsstadium das Produkt sich befindet und was als nächstes getan werden muss. 

Sensoren und Predictive Maintenance

Wenn Maschinen nicht von Menschen bedient werden, brauchen sie Sensoren, um sich zu orientieren. Sensoren von Werkzeugmaschinen z.B. überprüfen den Zustand des Werkstücks, das gerade bearbeitet wird. Autonom fahrende Transportelemente erkennen Hindernisse und können sich vielleicht auch über GPS orientieren, wenn sie größere Entfernungen zurücklegen sollen. Behälter registrieren ihren Füllstand und fordern Nachschub an, wenn benötigte Produktionsmaterialien zur Neige gehen. Schon heute weit verbreitet sind Sensoren, mit denen Maschinen ihren eigenen Zustand überwachen. Sie erkennen Probleme und melden z.B., wenn eine Maschine voraussichtlich bald gewartet werden muss. Diese Funktion ist auch als Predictive Maintenance bekannt und kann Unternehmen viel Geld sparen: Das System kennt immer den aktuellen Zustand der Maschinen und kann Wartungszeiten im Voraus so einplanen, dass möglichst wenig Ausfallzeiten entstehen.


KI und dezentrale Entscheidungen

In der smarten Fabrik werden gewaltige Mengen an Daten erhoben – etwa über den Zustand sämtlicher Maschinen und Apparaturen, über den Bestand und momentanen Standort von Werkstoffen, über die herzustellenden Produkte, über Energie- und Wasserverbrauch, über Aufträge und den Stand ihrer Bearbeitung. Diese Daten machen es möglich, den Produktionsprozess bis ins Letzte zu optimieren und für jeden Auftrag die effizienteste Umsetzungsweise zu bestimmen. Das allerdings könnte kein Mensch leisten – deshalb kommt in der idealtypischen Smart Factory künstliche Intelligenz zum Einsatz. KI analysiert Daten, erkennt Probleme und entwickelt Lösungen; das System lernt dabei, Lösungen, die für alte Aufgabenstellungen entwickelt wurden, an neu auftretende Probleme anzupassen.

Zentrale Lenkung ist aber nicht immer der beste Weg zur Organisation von Prozessen. Manchmal ist es sinnvoller, Entscheidungen dezentral treffen zu lassen. Auch das kann die intelligente Fabrik: Wenn jedes Werkstück im Produktionsprozess sämtliche Informationen über sich beispielsweise in einem Chip gespeichert mit sich bringt, dann kann es direkt mit den Maschinen kommunizieren, ohne dass erst Informationen aus einem Zentralrechner abgerufen werden müssten: Das Auto auf dem Fließband sagt gewissermaßen den Robotern, was sie als nächstes tun sollten.

Die Vorteile der intelligenten Fabrik

Die Vorteile der Smart Factory liegen auf der Hand: Nie zuvor war es möglich, hochkomplexe Herstellungsprozesse so effizient zu organisieren, wie die intelligente Fabrik das leisten könnte. Der Produktivitätsgewinn kann sogar noch höher ausfallen, wenn man die Vernetzung nicht auf die einzelne Fabrik beschränkt, sondern mehrere Standorte oder sogar mehrere Unternehmen einbezieht. Sollte eine Fabrik gerade nicht genug Maschinenkapazitäten oder Werkstoffe für einen Auftrag haben, so wird dieser automatisch an andere Fabriken im Netzwerk weitergeleitet oder aber aufgeteilt. Dieses Konzept ist auch unter dem Namen Shared Production geläufig.

Generell macht es die Smart Factory leicht, Produktionsabläufe weiterzuentwickeln und zu verbessern. Da sämtliche Anlagendaten in digitaler Form vorliegen, lassen sich gewünschte Änderungen jederzeit virtuell durchspielen, ohne dass eine einzige Maschine angefahren werden müsste. Diese digitale Fabrik ist quasi der digitale Zwilling der echten Fabrik und kann als Experimentierfeld genutzt werden.

Aber die Smart Factory ist nicht nur effizient, sie ist auch flexibel. Das Zusammenspiel von KI und hochflexibel steuerbaren Maschinen ist auch in der Lage, Kleinserien oder sogar Einzelstücke effizient zu produzieren.

Bleibt noch die bessere Qualitätskontrolle zu erwähnen: In einer durchgängig sensorüberwachten Produktion ist es leichter, Ausschuss zu erkennen oder gar ganz zu vermeiden.


Die Smart Factory in der Praxis

Manches bei der Smart Factory klingt noch futuristisch – aber es gibt bereits Standorte, an denen das Konzept in der ein oder anderen Form umgesetzt wird. Die Factory 56 von Daimler in Sindelfingen ist ein prominentes Beispiel. Sie ist eine Art Pilotprojekt für die geplante Umgestaltung sämtlicher Mercedes-Werke.

Häufiger werden allerdings derzeit nur einzelne Elemente des Konzepts übernommen. Von großer praktischer Bedeutung ist der Bereich der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance). Der Windkraftanlagenhersteller Siemens Gamesa stattet etwa seine Anlagen mit Sensoren aus, die den Status der Turbinen überwachen. KI erkennt frühzeitig mögliche Probleme und löst Wartungsprozesse aus. Auch in der Qualitätssicherung kommen Elemente der Smart Factory schon zum Einsatz. Die Firma Bosch etwa konnte mit Hilfe von KI das Problem unentdeckter Produktionsfehler beseitigen.

Herausforderungen der Industrie 4.0

Jeder Umbruch hat seinen Preis. Das ist zunächst einmal wörtlich zu verstehen. Die Investitionskosten für die Schaffung der technischen Infrastruktur sind hoch. Auf der anderen Seite benötigt die intelligente Fabrik deutlich weniger Personal in der Produktion, was wiederum Kosten senkt.

Hinter dem Thema Sicherheit steht ein großes Fragezeichen. Wie anfällig sind gewaltige digitale Produktionsverbünde für Störungen, Cyberkriminalität oder Sabotage? Zumal wenn ganze Konzerne ihre Produktionsanlagen vernetzen, könnten sich Störungen gravierend auf komplette Branchen auswirken. Investitionen in Sicherheitssysteme dürften wohl künftig nicht den kleinsten Teil der Kosten ausmachen.

Schon mit der Sicherheit sind wir bei einem Thema, das nicht nur Unternehmen, sondern die Gesellschaft als Ganzes betrifft. Umso mehr trifft dies zu für die Folgen von Industrie 4.0 für die Arbeitswelt. Die Smart Factory könnte irgendwann so manchen Job überflüssig machen. In diesem Fall bräuchten wir neue Arbeits- und Erwerbsformen für Millionen Menschen, zumal künstliche Intelligenz auch in anderen Wirtschaftszweigen künftig viele Arbeiten übernehmen könnte. So rührt die nächste Stufe der industriellen Entwicklung auch an Fragen, die uns als Gesellschaft insgesamt vor neue Herausforderungen stellen.

Text: Thorsten Kleinschmidt

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