„Wir binden Kohlenstoff mit Hilfe von Kühltürmen“


NeoCarbon

Nachhaltigkeit, 28.10.2022

Um der Luft CO2 zu entziehen, gibt es zahlreiche Ansätze. Und es werden – zum Glück – immer mehr. Direct Air Capture wird in großen Fabriken, an Kühltürmen oder auch auf Einkaufszentren und Bürogebäuden durchgeführt. Auf letzteres hat sich NeoCarbon aus Berlin spezialisiert. In einem Gespräch fand //next Kolumnist Markus Sekulla mehr über die Herausforderungen und Potentiale dieser vielversprechenden Technologie heraus.

NeoCarbon-Gründer René Haas und Silvain Toromanoff

NeoCarbon-Gründer René Haas und Silvain Toromanoff

Markus: Hi Silvain, ich freue mich, heute mit dir über euer Start-up NeoCarbon zu sprechen. Bitte gib uns eine kurze Einführung: Wer seid ihr – und was macht NeoCarbon?

Silvain: Hallo Markus und danke für die Einladung! Ich bin Silvain Toromanoff, einer der beiden Mitgründer und CTO von NeoCarbon. René Haas ist der andere Gründer, der die Rolle des CEOs übernommen hat. Wir sind beide Ingenieure und Gründer von NeoCarbon, einem Start-up für Direct Air Capture (DAC).

Ich habe in den letzten zehn Jahren in Helsinki studiert und gearbeitet. Auch als CTO in einem Unternehmen, das sich jedoch sehr von NeoCarbon unterscheidet. Es war großartig, aber es fehlte mir der Purpose. Deshalb beschloss ich schließlich, Ende 2020 zu gehen. Ich habe den größten Teil des letzten Jahres (2021) damit verbracht, darüber nachzudenken, wie ich meine Arbeit auf eine Art und Weise fortsetzen kann, die mir mehr Sinn stiftet, insbesondere im Bereich der Klimakrise. Ich sprach mit vielen Menschen, las viele Bücher und informierte mich über mögliche Lösungen.

Dann hörte ich von Antler, einem Risikokapitalfonds, der ursprünglich aus Singapur stammt, heute aber in vielen Städten auf der ganzen Welt tätig ist, unter anderem in Berlin. Sie bringen Leute zusammen, die zu 100 Prozent bereit sind, sofort ein neues Unternehmen aufzubauen. Ich habe dort sehr deutlich gemacht, dass ich etwas mit Purpose aufbauen wollte, denn das war der Hauptgrund, warum ich bei meinem vorherigen Unternehmen gekündigt habe. Dort habe ich René kennengelernt – der seinerseits in Start-ups mehr auf der Business-Seite gearbeitet hat – und es hat sofort geklickt. Wir beschlossen, zusammenzuarbeiten, noch bevor wir uns auf NeoCarbon festgelegt hatten.

Markus: Kannst du den Moment beschreiben, in dem du wusstest, dass die Idee so großartig ist, dass du Unternehmer werden beziehungsweise ein Unternehmen gründen musst?

Silvain: Wir haben einige Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, was wir bauen können. Direct Air Capture stand von Anfang an auf unserer beiden Listen. René hatte auch viel zu dem Thema recherchiert – wahrscheinlich sogar mehr als ich.

Die Situation, in die wir uns alle unglücklicherweise gebracht haben, ist die, dass wir die ganze Krise hätten vermeiden können, wenn wir vor einiger Zeit aufgehört hätten, so viele Treibhausgase zu emittieren. Aber jetzt sind wir so weit, dass wir, selbst wenn wir heute alles stoppen, im Grunde genommen schon zu viel emittiert haben. Wir müssen viele Milliarden oder sogar 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen.

Wir haben angefangen, uns mit DAC-Unternehmen wie Climeworks oder Noya vertraut zu machen, die mit einem Verfahren arbeiten, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Leider ist das immer noch sehr kompliziert, zumindest für große Mengen und es ist nicht billig. Wir versuchen, beide Probleme zu lösen. Und unser Ansatz nutzt die vorhandene Infrastruktur.

Kühltürme gibt es praktisch überall

Silvain: Kühltürme gibt es praktisch in jeder Branche. Das reicht bis hin zu Einkaufszentren oder Bürogebäuden. In diesen Fällen handelt es sich um Kästen auf den Gebäuden mit einem Ventilator oben drauf. Aber im Prinzip ist es das Gleiche. Sie blasen eine Menge Luft durch, um die Wärme abzutransportieren. Das bedeutet, dass sie sowohl einen großen Luftstrom als auch eine große Abwärme haben, die genutzt werden kann, um CO2 aus der Luft aufzufangen und zu verarbeiten. An diesem Punkt dachten wir, dass wir auf einer guten Spur sind.

Uns wurde klar, dass zumindest in der Anfangsphase ein solcher Weg bedeuten würde, dass es 1) mehr um die Ausführung und Skalierung geht, also um Dinge, mit denen wir beide viel mehr Erfahrung haben als mit reiner Chemie. Und 2) ist es auch etwas, das man mit weniger finanziellen Mitteln beginnen kann.

Um dir eine Vorstellung zu geben: Climewoks, der Marktführer im Bereich der CO2-Abscheidung, fängt mit seiner Orca-Anlage auf Island 4000 Tonnen CO2 pro Jahr ab, und die Kosten für Bau und Betrieb belaufen sich auf etwa 20 Millionen Euro plus vier Jahre Bauzeit. Bei unserem Ansatz können wir mit viel niedrigeren und viel kleineren Kapazitäten und Maschinengrößen beginnen. Im Bereich von hunderttausenden Euro, für unsere ersten Prototypen vielleicht sogar darunter. Das bedeutet, dass wir schnell starten und iterieren können, was auch ein Vorteil ist, wenn man bedenkt, dass uns nur noch so wenig Zeit bleibt, um tatsächlich etwas an unserer Situation zu ändern.

„Wenn man Milliarden von Tonnen CO2 entfernen will, wie wir es tun wollen, muss man enorme Mengen an Luft verarbeiten und durch das System blasen. “

Silvain Toromanoff, NeoCarbon

Markus: Welches konkrete Problem löst ihr und wie?

SilvainZiel ist es, der Atmosphäre, also der Umgebungsluft, CO2 zu entziehen und es durch direkte Luftabscheidung „herauszufiltern“. Die Art und Weise, wie dies geschieht, ist in der Regel eine Art von Zyklus. Zunächst lässt man Luft durch das System strömen, wodurch die Luft mit einer Chemikalie in Kontakt kommt, die entweder flüssig oder – wie in unserem Fall – fest sein kann. Und diese Chemikalie muss eine sehr hohe Affinität zu CO2 haben, so dass sie gewissermaßen an der Oberfläche gefangen wird.

Der Grund, warum dies sehr kostspielig ist, liegt auch darin, dass die Luft, die wir einatmen, nur etwa 0,04 Prozent CO2 enthält. Wenn man also Milliarden von Tonnen entfernen will, wie wir es tun wollen, muss man enorme Mengen an Luft verarbeiten und durch das System blasen. Dazu benötigt man sehr große Ventilatoren, deren Bau und Betrieb sowohl zeitintensiv als auch kostspielig ist.

Nachdem man die gesamte Luft durch das System geblasen hat, bleibt eine mit CO2 beladene Chemikalie zurück, die gefiltert werden muss. Dies erfordert viel Energie und in den meisten Fällen wird Wärme eingesetzt, mit der die Bindungen zwischen der Chemikalie und dem gerade entstandenen CO2 aufgebrochen werden. Das Ergebnis ist reines CO2, das man nun entweder dauerhaft lagern oder wiederverwenden kann und die Chemikalie, die wieder für den nächsten Zyklus einsatzbereit ist.

„Wir müssen unsere Stimme jetzt einsetzen“

Markus: Was können deiner Meinung nach Einzelpersonen und Gemeinschaften tun, um den Planeten zu retten? Und welche zukünftigen Herausforderungen müssen wir jetzt angehen, wenn wir im Bereich der Klimakrise arbeiten?

Silvain: Es gibt eine Menge Dinge, die jede/r einzelne in Leben tun kann. Energiesparen im privaten Raum ist wichtig, aber im Vergleich zu dem, was man mit Technologie tun kann, hat es leider nur geringe Auswirkungen.

Im Wesentlichen geht es um die vier Dinge, die man als Privatperson tun kann: 1) Aufhören, Fleisch zu essen, was immer häufiger vorkommt, vor allem in den größeren Städten. 2) Nicht fliegen. Ich glaube, das weiß jeder, aber wir sind leider noch weit von einer guten Alternative entfernt. Ich fliege daher selbst auch noch. Wenn auch nur sehr dosiert. Wichtig ist, dass man nicht predigt, dass jeder zu perfekt sein muss, sondern dass wir den richtigen Weg im Hinterkopf behalten und das machen, was wir können. 3) Kein Auto mit Verbrennungsmotor besitzen und 4) (sehr umstritten), keine Kinder bekommen. Zu letzterem habe ich keine Meinung.

Und man kann seine Stimme einsetzen. Vor allem in Situationen, in denen Unternehmen oder Politiker zuhören. Ich denke, das ist der Punkt, an dem wir alle am großen Rad drehen können. Und das ist es, was wir tun müssen, und wir müssen es jetzt tun. 

Ein Unternehmen mit Purpose

Markus: Jeder spricht über die „GreatResignation“ und wie schwierig es ist, Leute zu finden. Hat ein Purpose-orientiertes Start-up wie NeoCarbon auch mit diesem Problem zu kämpfen?

Silvain: In Berlin ist es im Moment schwierig, gutes Personal zu finden, weil es den vielzitierten „War for Talent“ tatsächlich gibt. Für uns hat sich das aber nicht so angefühlt. Wir suchen Chemieingenieure oder Maschinenbauingenieure. Diese Positionen sind in Start-ups derzeit nicht so umkämpft.

Leute klopfen auch an unsere Tür und sagen: „Hey, ich möchte für euch arbeiten“. Das sind zum Beispiel MBA-Studenten oder Leute, die ihren alten Job satt haben und für ein Unternehmen arbeiten wollen, das einen Purpose hat. Daher würde ich sagen, dass es für uns im Vergleich zu anderen Unternehmen einfacher ist, aber es ist auch nicht so, dass wir jede Stelle innerhalb einer Woche besetzen können.

In unserem Unternehmen dreht sich alles um Vertrauen und Transparenz – das ist wohl mein nordisch-finnischer Einfluss. Wir versuchen ein Unternehmen aufzubauen, in dem Menschen zur Arbeit kommen, weil sie für etwas stehen. Wir versuchen, die Leute so arbeiten zu lassen, wie sie es wollen. Es gibt keine offiziellen Arbeitszeiten, solange wir uns alle an die Meetingzeiten und die gegenseitigen Verpflichtungen halten. Wenn jemand abends oder nachts arbeiten mag... nur zu, wer sind wir, dass wir vorschreiben können, wie unsere Leute etwas zu tun haben?

Vom Prototypen zum ersten Produkt

Markus: Was ist euer wichtigster Meilenstein im Jahr 2023?

Silvain: Wir befinden uns in einem Wettlauf mit der Zeit, sowohl mit der Klimakrise als auch in unserem Unternehmen. Für uns wird 2023 das Jahr unseres ersten Produkts sein. Im Moment sind wir dabei, unsere ersten Prototypen fertigzustellen – in sehr kleinem Maßstab in einer kontrollierten Umgebung. Unsere Maschinen sollten fertig sein, und wir planen, Anfang Oktober die ersten Testergebnisse zu haben. Damit werden wir etwa drei Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden können, was ein recht kleiner Maßstab ist.

Der wichtigste Meilenstein ist, dass wir die Anlage aus dem Labor herausnehmen und in größerem Maßstab einsetzen. 100+ Tonnen CO2 pro Jahr an einem echten Kundenstandort, das heißt an einem echten Kühlturm, wären unser anspruchsvolles Ziel.

Und wie bei vielen anderen Start-ups steht auch eine Finanzierungsrunde im nächsten Jahr an, um die Skalierung zu ermöglichen. 

Markus Sekulla

Autor: Markus Sekulla

Hi, ich bin Markus. Ich bin freiberuflicher Unternehmensberater im Bereich Kreative/Digitale Kommunikation. Ich befasse mich in der nicht immer trennscharfen Frei- und Arbeitszeit am liebsten mit New Work, Trends, Gadgets und zukunftsfähigen Ideen. In der richtigen Freizeit bin ich ein ziemlicher Gesundheitsfreak: eat, run, sleep, repeat.

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Unsere Green-Tech-Serie auf //next

Munich Re und ERGO fördern im Rahmen des Accelerators Climate-KIC derzeit fünf Start-ups, die im Bereich Carbon Removal tätig sind und dort einen wichtigen Beitrag gegen die Erderwärmung leisten. In einer Interviewreihe mit //next Kolumnist Markus Sekulla haben wir die fünf jungen Unternehmen mit den großen Ambitionen vorgestellt: NeoCarbon, Reverse CarbonSilicateTreeconomy und Ucaneo Biotech.

Wer sich die Unternehmen anschauen möchte – hier geht's zu den Websites:

https://www.ucaneo.com/

https://www.treeconomy.co/

https://www.silicatecarbon.com/

https://www.neocarbon.tech/

https://www.reversecarbon.com/

Informationen zum ClimAccelerator gibt es hier:

https://www.ergo.com/de/Microsites/tacklingclimatechange/Start/Climate 

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