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Digitale Ideen für eine gerechtere Verteilung von Nahrungsmitteln 

Neben der Klimakrise gehört der Kampf gegen Hunger zu den größten Herausforderungen, denen sich die Menschheit gegenübersieht. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen leiden rund 821 Millionen Menschen unter chronischem Hunger. Wir haben uns angeschaut, welche digitalen Möglichkeiten und Ideen es gibt, um dem etwas entgegenzusetzen. Klar ist aber auch: Gerechtigkeit bei der Nahrungsversorgung basiert im Wesentlichen auf wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit. 

Die Zahlen, die regelmäßig veröffentlicht werden, sind und bleiben erschreckend. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren im Jahr 2021 702 bis 828 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Die Auswirkungen einer solchen Mangelernährung sind verheerend. Sie beeinflussen nicht nur die Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Personen. Sie haben überdies Einfluss auf ganze Gesellschaften und Volkswirtschaften. Denn wer hungern muss, hat ein höheres Risiko zu erkranken, trägt ein höheres Sterberisiko. Langfristig wirkt sich eine hungernde Bevölkerung insgesamt negativ auf die Entwicklung der betroffenen Regionen und Länder aus.

Tatsächlich gibt es grundsätzlich ausreichend Lebensmittel auf der Welt. Aber nicht alle profitieren davon. Häufig sind Verteilungsprobleme, Umweltkatastrophen oder auch Kriege dafür verantwortlich. Die Bekämpfung dieses Missstandes ist eine komplexe und langfristige Aufgabe für die Weltgemeinschaft. Um sie zu meistern, bedarf es umfassender und weitsichtiger Strategien. Immer häufiger kommen hier auch digitale Anwendungen und Technologien zum Einsatz. Diese können zumindest dabei helfen, die Ernährungssicherheit zu verbessern und den Zugang zu Nahrungsmitteln zu erleichtern.

So zielt etwa der vom World Food Programme (WFP) ins Leben gerufene WFP Innovation Accelerator darauf ab, innovative Lösungen auch im Bereich der Ernährungssicherheit zu finden und diese zu fördern – unter anderem durch finanzielle wie auch technische Unterstützung, Mentoring und den Zugang zu einem globalen Netzwerk von Experten und Ressourcen.

Analysetool für den Überblick

Auch die interaktive „Hunger Map Live“ wurde vom United Nations World Food Programme (WFP) ins Leben gerufen. Durch die Verwendung von Satelliten- und Mobilfunkdaten sowie die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen und Regierungen werden dort fortlaufend Informationen über Ernährungssicherheit, Ernteerträge, Wetterbedingungen und andere Faktoren gesammelt, die zur Vorhersage von möglichen Hungersituationen und zur Planung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung verwendet werden können. Angeschlossene Analyse- und Datenvisualisierungstools bündeln alle Informationen und bieten Einblicke auf globaler, regionaler und Länderebene. Die Karte ist damit eine Art täglicher Reminder, wo in der Welt mangelnde Ernährung verstärkt zu finden ist. 

Digitale Technik zur Optimierung landwirtschaftlich genutzter Flächen

Satelliten- und Fernerkundungstechnologien ermöglichen es heute, wichtige Echtzeit-Daten für die Landwirtschaft zu erhalten. So lassen sich Ackerflächen aus großer Entfernung und mit hoher Genauigkeit überwachen. Veränderungen im Pflanzenwachstum oder bei der Bodenfeuchte können frühzeitig erkannt werden.

Unter dieser Prämisse wurde auch das Projekt AgriSens DEMMIN 4.0. ins Leben gerufen Es ist Teil des größeren Forschungsprogramms „AgriSens“ vom DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), welches sich mit der Entwicklung von Sensortechnologie für die Agrarwirtschaft beschäftigt. Auf einem großen Experimentierfeld in Mecklenburg-Vorpommern werden konkrete Anwendungsfelder für Fernerkundungsdaten identifiziert. Hochauflösende optische Satelliten- oder Radardaten sowie Drohnenbilder sammeln die Informationen. Die gewonnenen Daten werden mittels Machine-Learning-Algorithmen analysiert und liefern präzise Prognosen und Entscheidungshilfen für Landwirte. Typische Fragestellungen: Wo im Boden mangelt es an Nährstoffen für einen optimalen Wuchs? Wo gibt es Hindernisse, die Wachstum blockieren? Wo fehlt es an Wasser? Auf diese Fragen schnelle Antworten zu erhalten ist entscheidend, um Ernteausfälle und Nahrungsmittelknappheit frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Eine solche Digitale Database kann allerdings nur dann helfen, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen sind und der Zugang für alle sichergestellt ist. Eine von der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragte Studie aus 2022 zeigt deutlich, dass dies auf dem afrikanischen Kontinent nicht zwingend der Fall ist. Im Großteil sind die erhobenen Informationen für Dritte nicht verfügbar oder werden nicht genutzt. Ein möglicher Grund: Sie befinden im Besitz von Regierungen oder privaten Unternehmen, obwohl sie den kleinen Bauern vor Ort dringend benötigt würden. Um den Nutzen der digitalen Technologien also voll ausschöpfen zu können, müssen sowohl der Umgang als auch der Zugang der Daten für betroffene Farmer verbessert werden. Eine solche Datensouveränität kann zudem als Treiber für die Entwicklung neuer wichtiger digitaler Lösungen betrachtet werden.

KI und Automatisierung zur Verbesserung von Logistikprozessen

Die heute vorhandenen Möglichkeiten, den Transport von Saat- und Nahrungsgütern effektiver zu gestalten, sind ebenfalls vielfältig. Durch den Einsatz von automatisierten Transportsystemen wie selbstfahrenden Fahrzeugen oder Drohnen werden Transportprozesse optimiert und beschleunigt. KI-Systeme wiederum optimieren Prozesse wie die Routenplanung oder das Lagerbestandsmanagement, damit die Waren schnell und effektiv an ihren Bestimmungsort gelangen. Mittels integrierten Sensoren in Transportbehältern und -fahrzeugen lassen sich gezielt Echtzeitdaten über Temperatur, Luftfeuchtigkeit und andere Parameter sammeln, um die Beförderungsbedingungen optimal zu gestalten und die Qualität und Haltbarkeit von Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Last but not least unterstützen digitale Plattformen, auf denen die Daten für den Transport von Gütern eingespeist und verwaltet werden, dabei, Transportkapazitäten und -ressourcen optimal auszulasten und einzusetzen. Ein Beispiel für ein solches plattformgetriebenes Logistikmanagement findet sich bei dem 2016 gegründeten und heute weltweit agierenden Unternehmen Uber Freight.

Gerade in Zeiten von Naturkatastrophen oder Pandemien ist es enorm wichtig, die Logistik von Lebensmitteln schnell und effektiv zu koordinieren. Denn häufig sind gerade die Regionen betroffen, wo ohnehin schon Lebensmittelknappheit vorherrscht. Die üblichen Wege und Kommunikationsmittel stehen in den benannten Krisenzeiten oftmals nicht zur Verfügung. Umso wichtiger, dass digitale Technologien, die auch aus der Ferne funktionieren, dann für schnelle Entscheidungen und Lösungen herangezogen werden können. Für eben diese Fälle entwickelte das World Food Programm (WFP) ein Supply Chain Management Dashboard, in dem Daten aus anderen Systemen integriert werden können und damit ein holistischer Überblick möglich ist. 

Bessere Verteilung von Assets sichert und steigert die Nahrungsmittelproduktion

Das Startup Hello Tractor verfolgte diesen Gedanken und schuf eine Plattform zur gemeinsamen und fairen Nutzung von Landmaschinen. Das Unternehmen, das gerne als „Uber der Traktoren“ bezeichnet wird, unterstützt Kleinbauern in Asien und Afrika dabei, ihre Erträge und Einkommen zu steigern und damit die Lebensgrundlage und Ernährungssicherheit ihrer Familien und Communities zu verbessern.

Seit 2022 geht Hello Tractor einen Schritt weiter und bietet ein Traktor-Finanzierungsprogramm, das nach dem „Pay-As-You-Go“-Prinzip funktioniert. Konkret ermöglicht es jungen Unternehmern, die über die Buchungsanwendung eine hohe Nachfrage nach Traktoren vorweisen können, Kredite zu erhalten. Das erklärte Ziel von Hello Tractor: Traktorkredite im Wert von 10 Millionen US-Dollar zu vergeben, so mehr als 110.000 neue Landwirte zu erreichen und bis zu 3.500 Arbeitsplätze zu schaffen.

Auch die App Agrishare hilft landwirtschaftlichen Betrieben, ihre Maschinen (Traktoren, Pflüge etc.) an Betriebe in der Nähe zu verleihen, damit nicht jeder sich schweres und teures Gerät anschaffen muss.

Digitale Lösungen bieten bisher verwerten Zugang für Finanztransaktionen

Mobile Zahlungssysteme leisten inzwischen gute Dienste für Menschen in ärmeren ländlichen Regionen, wo der direkte Zugang zu einem Bankkonto oder Kreditkarten schlicht nicht möglich ist. Per Mobiltelefon und zugehörige Apps kann Geld überwiesen und empfangen oder ein Einkauf getätigt werden. Anders ausgedrückt: Mobile Technik und Anwendungen versetzen die Menschen in die Lage, sich Nahrungsmittel und andere lebensnotwendige Güter zu organisieren, zu denen sie sonst keinen oder nur schwerlich Zugang hätten. Da verwundert es wenig, dass sehr häufig Mobilfunk- und Telekommunikationsunternehmen die Entwicklungen vorangetrieben haben. Zu den weltweit bekanntesten gehören M-Pesa, ein vom Mobilfunkunternehmen Safaricom in Kooperation mit Vodafone entwickeltes und Anfang 2007 in Kenia eingeführtes System, Wave oder auch der 2004 von Globe Telecom gegründete GCash-Service auf den Philippinen. 

Weniger Verschwendung bei uns hilft auch anderswo

Nicht zwingend Hunger, aber Ernährungsarmut ist mitnichten ein Problem von Entwicklungs- und Schwellenländern. Allein in Deutschland waren es laut einer Erhebung der Heinrich Böll Stiftung im Jahr 2020 sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger, denen ein ausreichender Zugang zu Nahrung verwehrt war. Fast zwei Millionen Kinder waren betroffen.

Mit Apps wie „To Good to go“ kann überschüssiges Essen aus Restaurants, Cafés und Supermärkten oder Bäckereien zu günstigen Preisen gekauft werden, bevor sie im Abfall landen. Auch ERGO Gourmet macht dabei mit (https://www.ergo-gourmet.de/ernaehrung-genuss).

Übergabe einer Überraschungstüte (Credit: Too Good to go) Übergabe einer Überraschungstüte (Credit: Too Good to go)

Davon profitieren aber nicht nur die Menschen hierzulande mit geringen Budgets. Tatsächlich leisten solche Apps insgesamt einen wichtigen Beitrag gegen den Hunger in der Welt. Wie das? Europa gehört zu den größten Importeuren von Agrarprodukten aus armen Ländern. Also von dort, wo Millionen von Menschen Hunger leiden. Die steigende Nachfrage nach diesen Produkten hat oft schwerwiegende Folgen für die Ernährungssicherheit der betroffenen Bevölkerung. Landraub und die Vernichtung von Wäldern führen dazu, dass die Verfügbarkeit und Sicherheit von Nahrungsmitteln bei diesen abnehmen, während in Europa große Mengen an Lebensmitteln verschwendet werden. Je weniger wir verschwenden, desto besser also für die Menschen aus den Regionen der Erde, wo der Zugang zu Lebensmitteln erschwert ist. Ein aktuell Beispiel: Avocados. Die gestiegene Nachfrage bei uns hat dazu geführt, dass die Preise auch in den Anbauländern steigen. Zudem ist der Anbau von Avocados sehr wasserintensiv und führt in einigen Regionen zu Wasserknappheit. Das gefährdet die Lebensgrundlage der Menschen in diesen Gebieten. 

Kleine Helfer für das große Ganze: digitale Kommunikationstools und Apps

Social Media und digitale Plattformen tragen dazu bei, wertvolles Wissen schneller und einfacher zugänglich zu machen – auch den Menschen, die hiervon bisher oft ausgeschlossen waren. Der Austausch von Informationen und Ideen über das Internet unterstützt sie dabei, ihre eigene Nahrung effektiver anzubauen und zu produzieren.

Mit ShareTheMeal – ebenfalls eine Initiative des World Food Programms (WFP) der Vereinten Nationen – kann mit nur einem Klick eine Mahlzeit an Kinder in Not gespendet werden. Die App nutzt Blockchain-Technologie, um Spenden transparent und sicher zu verwalten.

Die von der Welthungerhilfe entwickelte App Child Growth Monitor soll zukünftig dabei helfen, die Mangelernährung von Kindern frühzeitig zu erkennen. Die hierzu via Smartphone ermittelten Daten geben ein schnelles Bild über notwendige Maßnahmen.

Spielerisch daher kommt „Freerice“. Diese Anwendung bietet eine Reihe von Bildungs- und Wissensspielen an, bei denen die Nutzer Fragen beantworten müssen. Für jede richtige Antwort spendet Freerice zehn Körner Reis an die Welthungerhilfe, um Menschen in Not zu unterstützen. Wie schön wäre es doch, wenn es zukünftig weitere Möglichkeiten gäbe, dem Hunger in der Welt so spielend leicht etwas entgegenzusetzen.

Fazit: Digitalisierung kein Allheilmittel gegen Ernährungsungerechtigkeit

Es gibt viele digitale Innovationen, die im Zusammenspiel eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Hunger in der Welt spielen können. Sei es die Verbesserung der Infrastruktur in ländlichen Gebieten, die Förderung von Bildung und die Stärkung von Communities zur Selbsthilfe. Trotz all der guten Dinge, die durch die Digitalisierung möglich werden: Gerechtigkeit bei der Nahrungsversorgung basiert im Wesentlichen auf wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit. 

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