Digital Health

Digitale Technologien als Entlastung in der Pflege?

Kann die Digitalisierung ein Berufsfeld verbessern, das vor allem auf menschliche Nähe angewiesen ist? Sicher ist: Die Empathie von Pflegekräften kann kein Roboter ersetzen. Warum digitale Technologien trotzdem für eine bessere Pflege und ein besseres Arbeitsumfeld sorgen können.

Wenn in letzter Zeit über die Pflegebranche berichtet wird, geht es meistens um Probleme: Zu wenig Personal für zu viele Patienten, zu wenig Geld, zu viel Belastung, zu viel Bürokratie und Verwaltungsaufwand. Alle diese Probleme wird die Digitalisierung nicht lösen können, zwei von ihnen kann sie aber zumindest verringern: den Verwaltungsaufwand und die körperliche und psychische Belastung. Eine durchdachte Digitalstrategie kann der Pflege also mehr Zeit und Kraft für menschliche Nähe bringen. In meinem Artikel gehe ich auf die Suche nach den Zielsetzungen, die eine solche digitalisierte und gleichzeitig menschlichere Pflege ermöglichen könnten.


Wie digital ist die Pflege heute?

Die Pflege gilt als Nachzügler in Sachen Digitalisierung. In nicht allzu ferner Zukunft soll auch sie von der elektronischen Patientenakte und einer Telematikinfrastruktur profitieren, im Moment läuft allerdings vieles aber noch eher per Fax. Patientendaten müssen per Hand in die örtlichen Datenbanken eingepflegt werden. Das kostet Zeit kostet und ist fehleranfällig.

Gleichzeitig gibt es Einrichtungen, die bereits über Assistenzsysteme verfügen, die den Pflegebedürftigen einen hohen Grad an Selbstständigkeit ermöglichen und die Pflegenden entlasten. Sensoren auf den Zimmern, die Meldungen direkt an das Pflegepersonal senden, Hygieneroboter und autonome Transportsysteme sind dort keine Science-Fiction mehr. Auch die Verwaltung arbeitet nicht komplett im Fax-Zeitalter: Innerhalb der Betriebe läuft vieles bereits digital, zum Beispiel über Pflegeinformationssysteme. Dass Verordnungen vom Arzt noch per Fax kommen, liegt nicht etwa an mangelndem Willen zur Digitalisierung, sondern an der Gesetzeslage, die sich zum Glück allmählich wandelt.

Tatsächlich ist die Digitalisierung in der Pflege schon deutlich weiter vorangeschritten, als die Berichte über Fax-Verordnungen vermuten lassen. In der Studie „Pflege 4.0“ erhob die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), dass 74 Prozent der befragten Beschäftigten im Pflegesektor die elektronische Dokumentation nutzten, technische Assistenzsysteme kommen immerhin bei 32 Prozent zum Einsatz. 

Wunsch der Pflegekräfte: Entlastungen im nicht-pflegerischen Bereich

Patientendaten sollten sensibel behandelt werden und die Pflege ihre menschliche Dimension nicht verlieren – das sind die beiden wichtigen Rahmenbedingungen der Digitalisierung in der Pflege, die unter anderem der deutsche Pflegerat formuliert.

Dass diese Rahmenbedingungen vom Pflegepersonal sehr ernst genommen werden, spiegelt eine Studie der Initiative neue Qualität der Arbeit wider. Hier zeigt sich, dass Pflegende den Nutzen der Digitalisierung in unterschiedlichen Bereichen ihrer Profession sehr unterschiedlich beurteilen. Grundsätzlich stehen überwältigende 87 Prozent der Befragten dem Einsatz moderner Technik aufgeschlossen gegenüber. Den größten Nutzen sehen sie dabei in der elektronischen Dokumentation und in technischen Assistenzsystemen. Eher ablehnend stehen die Befragten der Robotik entgegen, vor allem im sozialen Bereich. Auch eine weitere Arbeitsverdichtung und eine strenge Überwachung ihrer Arbeit lehnen sie ab.

Der prominenteste Vertreter der Digitalisierung in der Pflege, der Pflegeroboter Pepper, passt nicht so ganz in dieses Bild. Pepper kann sich mit Pflegebedürftigen unterhalten, Witze machen, Spiele spielen und vieles mehr – den Wunsch der Pflegekräfte auf Entlastung und Verbesserung ihrer Arbeit kann er nicht erfüllen. 

Chancen für eine bessere Arbeit in der Pflege

Gefordert sind also nicht etwa digitale Technologien, die Pflegetätigkeiten übernehmen, sondern solche, die den Pflegenden den Arbeitsalltag erleichtern. Vor allem in Sachen Bürokratie besteht hier Bedarf. Verwaltung und Kommunikation mit anderen medizinischen Einrichtungen benötigen unnötig Zeit und Kraft. Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) und den daran anschließenden Kommunikationsinfrastrukturen wie der Kommunikation im Medizinwesen (KIM) und der Telematikinfrastruktur (TI) wird im Moment gleich an mehreren Großprojekten gefeilt, die Abhilfe verschaffen sollen.

Eine weitere Herausforderung, die bei der Vernetzung des Gesundheitssektors noch gemeistert werden muss: Es gibt zwar viele digitale Technologien, die in einzelnen Bereichen bereits sehr leistungsfähig sind, es handelt sich dabei jedoch oftmals um Insellösungen. Auch in der Pflege stellen diese ein großes Problem dar. So kann es sein, dass eine pflegebedürftige Person eine ausführliche digitale Akte beim Hausarzt hat, diese aber ausgedruckt und per Post an die Pflegestelle versendet werden muss, um dort wieder händisch in ein Pflegeinformationssystem eingepflegt zu werden. Auf der Pflegestelle kann der Gesundheitszustand der Gepflegten über Assistenzsysteme überwacht werden, deren Meldungen aber wieder nur über analoge Umwege zurück an den Hausarzt gelangen.

Dass Vernetzung große Entlastungen bringen kann, zeigt zum Beispiel ein Bericht der Offensive Gesund Pflegen über Transportroboter in im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dort wird die Kliniklogistik von autonomen Robotern erledigt. Sie fahren unter anderem Wäsche, Arzneimittel und Essen über den Campus. Per App wird an das Stationspersonal gemeldet, wenn eine Lieferung ankommt. Das Pflegepersonal spart sich dadurch Zusatzaufgaben wie den Transport von Schmutzwäsche. Auch die Medikamentenbestellungen für die Station werden über das System getätigt – und kommen dann autonom dort an.

In Pflegeeinrichtungen und bei der ambulanten Pflege kann auch die Telemedizin große Erleichterungen bringen. Per Videotelefonie zugeschaltete Fachärzt*innen bringen in vielen Situationen schnell Klärung und ersparen aufwändige Transporte der Gepflegten. Auch Vitalzeichen wie Puls und Sauerstoffsättigung und andere diagnostische Daten können mittels Telemonitoring an Ärzt*innen übermittelt werden, die so die Gepflegten mit weniger Transport- und Arbeitsaufwand besser überwachen können.

Etwas mehr Science Fiction bieten Assistenzroboter, die beispielsweise beim Heben von Patient*innen helfen und den Rücken von Pflegekräften schonen. Zum Teil sind solche Systeme schon im Einsatz und werden intensiv erforscht. So werden bereits Exoskelette erprobt, die es Pflegekräften erlauben, mehr Gewicht zu tragen. Zur flächendeckenden Nutzung werden jedoch noch ein paar Jahre vergehen.

Chancen für mehr Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen

Auch auf Seite der Pflegebedürftigen können Assistenzsysteme Verbesserungen bringen. Hier spielt vor allem das sogenannte Ambient Assisted Living (AAL) eine wichtige Rolle. AAL umfasst Systeme in der Lebensumgebung von Pflegebedürftigen, die Pflegekräften, Angehörigen oder Ärzte und Ärztinnen Daten und Benachrichtigungen zum Zustand der ihnen Anvertrauten zuspielt. Pflegebetten, die mit Sensoren ausgestattet sind, können die pflegenden Menschen benachrichtigen, sobald sich Pflegende aus dem Bett bewegen, intelligente Fußböden können Stürze detektieren und Hausnotrufsysteme per Knopfdruck eine Notrufzentrale kontaktieren.

Das Ziel dieser Technologien ist es, den Pflegebedürftigen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Die Sensorik im Pflegezimmer und der Hausnotruf erlauben pflegebedürftigen Menschen, mit weniger Einschränkungen zu leben. Sie müssen seltener von anderen Menschen direkt überwacht werden, um sich selbst zu schützen.

Andere Technologien wahren die Intimsphäre der Pflegebedürftigen. Hygieneroboter wie vollautomatische Toiletten mit Nassreinigungs- und Abtrocknungsfunktion ersparen es ihnen, beim Toilettengang auf Hilfe angewiesen zu sein.

Innovationen ausgewählt vernetzen, um Menschlichkeit in der Pflege zu fördern

Zwei Zielsetzungen bei der Digitalisierung der Pflegebranche sind also realistisch in naher Zukunft zu erreichen und werden vom Pflegepersonal begrüßt: Verwaltungs- und Zusatzaufgaben abbauen und die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen fördern, damit wieder mehr Zeit für das Zwischenmenschliche zur Verfügung steht.

Text: Nils Bühler

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